Das Blut von Magenza
erschienen sie mir nach der Unterredung verändert. Sie kamen mir weniger wütend als viel eher verschwörerisch vor, denn sie steckten die Köpfe zusammen und tuscheltenund ihre Laune besserte sich deutlich.“
„Hattest du das Gefühl, dass dieser andere Kerl mich kannte?“, wollte Hanno wissen.
„Möglich wäre es, aber du kamst allein, hast allein gegessen und gingst allein. Er starrte allerdings immer wieder zu dir hinüber. Übrigens, alle Achtung, du bist sehr geschickt im Würfeln. Ich dachte schon, er wollte mitspielen, aber er ließ es dann doch bleiben. Wenn ich´s mir recht überlege, sah er nicht sonderlich vertrauenerweckend aus. Würde mich nicht wundern, wenn der was zu verbergen gehabt hätte.“
Auf ihrem Weg zurück brachte der Graf es auf den Punkt. „Wir haben einiges über dich erfahren: Du kamst aus Speyer, legtest eine unfreiwillige Rast ein, hast dir beim Würfeln Feinde gemacht, und wie es scheint, gibt es da noch jemanden, dem du ein Dorn im Auge warst. Der Überfall auf dich sieht mir immer weniger nach einem Zufall aus. Möglich, dass du aus dem Weg geschafft werden solltest.“
Hanno war ebenfalls zu diesem Schluss gekommen. Die ganzen Umstände ließen ihn zudem in weniger gutem Licht erscheinen. „Man könnte fast glauben, ich verdiene mir mit Würfeln meinen Lebensunterhalt. Hoffentlich täuscht das“, seufzte er.
Auch Bolko dachte das, wollte aber den jungen Mann nicht vorschnell verurteilen. „Solche Überlegungen sind müßig. Möglich, dass wir morgen in Mainz mehr erfahren.“
Anwesen des Emich von Flonheim
Emich von Flonheim, der Herr von Leiningen, kniete mit entblößtem Oberkörper auf dem nackten Boden vor demKreuz in seinem Schlafgemach. Heute feierte die Kirche Circumcisio Domini. Noch vor wenigen Jahren hatte man an diesem Tag Natale Sancta Mariae begangen, aber das Fest der Beschneidung des Herrn ließ den Feiertag zu Ehren der Gottesmutter in den Hintergrund treten.
Emich, der beide gleichermaßen verehrte, hielt abwechselnd Zwiesprache mit Jesus Christus und der Gottesmutter. Er war ein Suchender, der Antworten brauchte. Seit einiger Zeit bedrängten ihn nächtliche Visionen, die er nicht verstand, was ihn verunsicherte. Während er unablässig seine Gebete murmelte und dabei seinen Oberkörper vor- und zurückbeugte, fiel er in einen tranceähnlichen Zustand, der alles um ihn herum in weite Ferne rückte.
Ein Lendentuch war sein einziges Kleidungsstück und obwohl es kalt war, fror er nicht. Schweißperlen drückten sich durch die Poren seiner Haut, liefen in dünnen Rinnsalen seinen Rücken hinunter und sammelten sich in der Furche des Gesäßes und den Kniekehlen. Nichts von alldem nahm er wahr. Er empfand weder Schmerz noch Kälte, weder Hunger noch Durst. Ihn verlangte nach Offenbarung und die ließ sich nur durch Entbehrung erreichen.
Es waren zwei Träume, die sich abwechselten. In dem einen sah er Jesus Christus, der mit erhobener Rechter vor ihm stand. Daumen, Zeige- und Mittelfinger waren abgespreizt, während die anderen beiden angelegt waren. In seiner ausgestreckten Linken ruhte die Kaiserkrone, ihm zum Greifen nahe. Hinter dem schmalen Körper des Gottessohnes erstrahlte ein überirdisches Licht, das so hell leuchtete, dass es in den Augen schmerzte. Jedes Mal erwartete Emich, dass Jesus zu ihm sprach, doch immer blieb er stumm.
Die zweite Heimsuchung war noch rätselhafter. Ein in Purpur gekleideter Erzengel zückte sein Flammenschwert undforderte ihn auf, seine Brust zu entblößen. Sobald er mit nacktem Oberkörper vor ihm stand, ritzte er ihm mit der brennenden Klinge ein Kreuz in die Haut. Diesen Traum fürchtete er am meisten. Dann erwachte er unter lauten Schreien. Die Stelle, an der der Bote Gottes ihn berührt hatte, glühte so heiß wie die Scheiterhaufen des Fegefeuers und er war der Überzeugung, dass sich auf seiner weißen Brust ein blutrotes Mal abzeichnete, obwohl es außer ihm niemand sah.
Emich hatte einen Priester um Rat gefragt. Aber auch der Gottesmann konnte ihm keine Antwort geben. Stattdessen riet er ihm zur Buße und zu inständigem Gebet. Beides erfüllte er gewissenhaft. Mehr als acht Stunden täglich widmete er Gott. Er fastete und lebte inzwischen sogar keusch, doch die Botschaften blieben kryptisch.
Sein Diener Albrecht beobachtete die Besessenheit seines Herrn voller Sorge, denn er wurde mit jedem Tag schwächer. Heute kniete er seit dem Morgengrauen vor dem Kruzifix und jetzt zog die Nacht herauf.
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