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Das boese Blut der Donna Luna

Das boese Blut der Donna Luna

Titel: Das boese Blut der Donna Luna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Cerrato
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zu verdauen. Palmieri kannte Don Silvano und Federico Manara also seit Kindertagen, hatte das aber nie erwähnt. Während der ganzen Ermittlungen kein einziges Wort. Er hatte vor Don Silvanos Leiche gestanden und geschwiegen. Schließlich sagte sie das Dämlichste, was ihr einfallen konnte: »Aber auf dem Klassenfoto ist Palmieri nicht drauf.«
    Sie zeigte auf das Foto, das eingerahmt an der Wand prangte.
    »Ach, das Foto. So ist es. Es ist das Foto des Abiturjahrgangs, kurz vor den Prüfungen. Alle waren da, nur Alessandro fehlte. Lassen Sie mich nachdenken ... Ach, richtig, jetzt fällt es mir wieder ein: An dem Tag war seine Schwester geboren worden, und er ist nicht in die Schule gegangen.«
    »Haben Sie ihn oft gesehen, Palmieri, meine ich? In jenen Jahren? Und welche Beziehung hatte er zu Don Silvano und Ihrem Neffen?«
    Professor Lucrezio zögerte abermals, sein Blick wanderte durch das Zimmer, er presste die Lippen zusammen, schien mit sich zu ringen. Offenbar fiel es ihm nicht leicht, darüber zu sprechen.
    »Alessandro hat es nicht gern, wenn ich davon rede, er hat mir sogar verboten, darüber zu sprechen, aber inzwischen ... was nützt es noch? Lächerlich, diese Heimlichtuerei, es hat doch nichts geholfen ... jetzt ist sowieso alles vorbei.«
    Der Alte schwankte, Nelly befürchtete, er würde in Ohnmacht fallen, und ergriff instinktiv seinen Arm. Ungehalten machte er sich los.
    »Heimlichtuerei weshalb?«
    »Aus beruflichen Gründen, natürlich! Er war Giulianos Psychotherapeut. Ich hatte ihn bei ihm in Behandlung gegeben, in der Hoffnung, eine Therapie könnte ihn heilen, aber stattdessen ... Als er sich bereiterklärt hat, ihn zu therapieren, hat er mich gebeten, niemandem davon zu erzählen, weder Silvano noch Chicco, diesem Armleuchter, noch meinem Bruder. Das sei die Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung, meinte er. Es war seine Bedingung. Eigentlich sollte ich auch jetzt nicht darüber sprechen, er hat es mir befohlen, und es gibt dafür auch keinen Grund, denn inzwischen ... inzwischen ... Gehen Sie, bitte. Gehen Sie.«
    Er wankte und stützte sich mit der linken Hand gegen die Wand. Nelly murmelte ein »Auf Wiedersehen«, floh aus dem Zimmer, stieß im Eingang mit der Kinderfrau zusammen, trug ihr auf, sich um den Professor zu kümmern, und rannte aus dem Haus, um diesem Strom unstillbaren Schmerzes zu entkommen, der ihr wie zähe Lava folgte.
    Von der Piazza De Ferrari rief sie Gerolamo an. Er solle auf der Stelle zu ihr kommen, egal, was er gerade mache, und zwar direkt zur Villa Camelia - ohne es zu merken, hatte sie den Namen französisch ausgesprochen, mit der Betonung auf der letzten Silbe –, Palmieris Haus in Albaro, sie würde mit dem Bus hinfahren, er solle auch dem Polizeivize Bescheid sagen, damit er ebenfalls so schnell wie möglich dorthin käme, möglichst mit einem Durchsuchungsbefehl, ja, es gab Neuigkeiten, nein, für Details sei keine Zeit, sie hatte die Haltestelle erreicht, der Bus kam gerade, und sie stieg ein.
    Zum Glück war in der Stadt wenig Verkehr. Nelly konnte es kaum abwarten, anzukommen, doch war Palmieri überhaupt zu Hause? War er überhaupt noch in Genua? Höchstwahrscheinlich war er inzwischen in die Schweiz oder sonst wohin gereist, und dabei hatte sie so viele Fragen an ihn, zu viele Fragen, auf die es noch keine Antwort gab. Sie war in Albaro angekommen und stieg aus. Auch wenn Alessandro nicht mehr da war, das Haus stand an seinem Platz. Vielleicht würden sie dort die Antworten finden.
    Natürlich war das Haus noch dort. Verschlossen und verrammelt, wie sie befürchtet hatte. Es sah aus, als sei es seit Jahrzehnten unbewohnt. Kein Auto stand vor der Tür, niemand war zu sehen. Er war abgereist und hatte seine Geheimnisse und die vieler anderer mitgenommen, die ineinander verschlungen waren wie der knorrige Stamm der Glyzinie, der sich um das Zaungestänge gewunden hatte, fast eins mit ihm geworden war und es verbogen und zerdrückt hatte wie eine Python ihre Beute. Schlangen, Beute, Schlangenaugen.
    Unschlüssig stand Nelly da und starrte durch das Gartentor auf den Park und das Haus jenseits der Grundstücksmauer. Dann fasste sie einen Entschluss. Zum Teufel, sie würde sich bestimmt nicht von einer dämlichen Mauer und einem blöden Gartentor aufhalten lassen, nicht jetzt, jetzt erst recht nicht. Ringsherum friedliche Stille, lauernde Leere, wie in einem Albtraum. Nelly blickte sich um, lief durch eine enge Seitengasse an der Mauer entlang und

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