Das boese Blut der Donna Luna
hier, hau ab , drängte das Stimmchen, das vor Angst plötzlich ganz artig geworden war, hol die Männer und komm mit ihnen wieder . Instinktiv streckte sie die Hände aus und berührte eine andere Mauer, sie schob den Fuß vor, und das war ein Fehler: Sie verlor das Gleichgewicht und stürzte mit einem überraschten, angstvollen Schrei in die leere Finsternis. Sie polterte eine enge Stiege hinunter, schlug hart auf dem Boden auf, ein jäher Schmerz im rechten Arm, wieder entfuhr ihr ein Schrei, diesmal lauter, der zu einem Wimmern verebbte. Ihre Tasche war ihr aus der Hand gerutscht und lag nun irgendwo auf dem Boden, es war zu dunkel, um sie zu sehen. Die Tasche mit der Pistole, dachte sie trotz des stechenden Schmerzes.
Mühsam setzte sie sich auf, sie konnte sich nicht auf den Arm stützen, sie konnte ihn nicht beugen, war er gebrochen? Ihr Hirn war vollkommen eingenommen von diesem bohrenden Schmerz. Leise stöhnend rappelte sie sich hoch, hob den unversehrten Arm und tastete die Wand nach einem Lichtschalter ab, da war er, endlich Licht, Gott sei Dank. Es war schummrig, aber ausreichend, um einen kurzen unterirdischen Gang zu erkennen, der etwas weiter vorn nach links abbog.
Leise stöhnend und schmerzgekrümmt blickte Nelly sich suchend um und entdeckte die Tasche. Sie kniete sich unsicher hin, zog die Pistole heraus, steckte sie in den Ausschnitt ihres Kleides, um die Hand frei zu haben, kam irgendwie wieder auf die Füße und schleppte sich, von einer unwiderstehlichen Kraft getrieben, voran. Der Gang endete vor einer gepanzerten, aber – unglaublich! – unverschlossenen Tür. Obwohl sie wusste, welches Risiko sie einging, trat Nelly über die Schwelle.
Tano und Gerolamo saßen an der Piazza San Francesco d’Albaro im Auto und grübelten jeder für sich über Nellys dringende Einbestellung nach, die im Nichts geendet war. Schlimmer noch, in ihrem Verschwinden und dem beharrlichen Schweigen ihres Telefons.
Das verheißt nichts Gutes.
Dachten sowohl Tano als auch Gerolamo. Aber wieso? Was konnte das schon wieder für eine Neuigkeit sein, die Nelly Pfeffer in den Arsch geblasen hatte? Und vor allem: Wo war sie? Die Ermittlungen der Serienmorde waren abgeschlossen, Giuliano Zanni war tot, Palmieri nicht mehr in Genua. Man hatte sich am Vorabend gesehen, der Kriminologe hatte gesagt, dass er früh am nächsten Morgen abreisen würde, und seine Villa war tatsächlich verschlossen. Doch auch er war auf seinem Handy nicht zu erreichen.
»Da ist was faul, Dottor Esposito. Diese Sache schmeckt mir gar nicht.«
Gerolamo sah seinen Vorgesetzten beunruhigt an und riss ihn aus seinen Gedanken. Tano bedauerte, dass er aufgehört hatte zu rauchen. Ihm fehlte ein notwendiges Ventil, und das nur, um ein oder zwei Jahre länger zu leben, verdammt. Er nickte nachdenklich. Sie warteten und hofften, Nelly plötzlich um die Ecke biegen zu sehen. Sie waren noch nicht bereit, loszufahren und die Sache auf sich beruhen zu lassen. Beide kannten sie gut genug, und wenn sie gesagt hatte, sie sei auf dem Weg dorthin, dann war sie das auch. Es sei denn, etwas war passiert. Etwas Schlimmes.
»Also, Privitera, wiederhol noch mal ganz genau, was Dottoressa Rosso dir gesagt hat.«
Zum dritten Mal musste Gerolamo sein letztes Telefonat mit Nelly Wort für Wort wiederholen.
Der weite, unterirdische Raum, an dessen dunkelblau gestrichener Kappendecke zahllose Sterne glänzten, wurde von ringsum angebrachten, geschickt versteckten Strahlern erhellt, die allesamt auf seine Mitte ausgerichtet waren. Die Luft war gut, irgendwo mussten sich Luftschächte befinden. Dort in der Mitte stand eine Glasvitrine, wie man sie aus Museen für wertvolle Exponate kennt. Nelly schleppte sich darauf zu, um besser sehen zu können. Sie zitterte, doch nicht wegen des bohrenden Schmerzes, der von ihrem rechten Arm ausging.
Sie zitterte vor blankem Grauen, vor animalischer Urangst, wie ein Tier, das instinktiv eine ihm unbekannte Gefahr wittert.
Verschlossen in mit Flüssigkeit (Formalin?) gefüllten Behältern, sah sie dort die Köpfe der ermordeten Frauen, Paulette, Malina, Lena, Samira, Dolores, Ermelinda und ... ja, sie war es wirklich, die Frau von den Bildern, o Gott, Alessandros Mutter. Sie waren aufgestellt wie in einer Installation, auf unterschiedlich hohen Glasebenen, die sich langsam drehten und zugleich um einen Mittelpunkt rotierten. In der Mitte stand unbewegt der Kopf der Mutter, die anderen umkreisten ihn wie Planeten die Sonne. Oder
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