Das boese Blut der Donna Luna
wollte sie ganz für sich allein, wissen Sie. Die zerstörerische Kraft der Leidenschaft oder des Egoismus, wenn Sie wollen.«
Seine Stimme klang ruhig und gelassen, als würde er von Fremden sprechen. Dabei war er mit dieser bildschönen, sicher unglücklichen Kreolin in diesem herrlichen Gefängnis aufgewachsen. Wie hatte er das verkraftet?
»Und wo leben Ihre Eltern jetzt, noch immer hier?«
Tano konnte sich nicht zurückhalten, die Geschichte der jungen Kreolin und des so viel älteren Diplomaten war einfach zu spannend. Alessandro Palmieri schien sich an dieser Verletzung seiner Privatsphäre kein bisschen zu stören.
»Mein Vater hatte einen Unfall auf See und ist gestorben, als ich achtzehn war. Meine Mutter litt jahrelang an Depressionen mit manisch-depressiven Krisen und hat es nicht mehr geschafft, die Tore aufzustoßen und ins Leben zurückzukehren. Sie hat sich umgebracht. Eine traurige Geschichte. Wie viele andere auch. In meinem Beruf habe ich es fast ausschließlich mit solchen Geschichten zu tun. Man versucht zu helfen und scheitert dann doch allzu oft«, sagte er wie zu sich selbst. Die beiden schwiegen betreten.
»Doch wir sollten uns jetzt nicht mehr mit meiner Familiengeschichte befassen, das ist Schnee von gestern. Schließlich haben wir einen aktuellen Fall, der unsere gesamte Aufmerksamkeit fordert, nicht wahr?«
Nelly und Tano nickten brav, obgleich Palmieris kurze und völlig unerwartete Schilderung ihre Neugier geweckt hatte, die alles andere als befriedigt war. Die Familiengeschichte des Psychologen klang wie ein Roman. Sofort war Nellys Phantasie entfacht, und während Tano gleich wieder bei der Sache war und mit Palmieri redete, driftete sie ab und sah eine blühende, lebenshungrige junge Frau durch die schattigen Räume wandeln, und ihren kleinen Sohn, der ebenso einsam war wie sie, vielleicht ihr einzig wahrer Vertrauter und ihre einzige Gesellschaft. Ein ungutes Gefühl befiel sie. Diese Mauern hatten gewiss eine Menge Tränen und Schmerz erlebt und so viel davon aufgenommen, dass sie sie noch immer ausstrahlten. Wieso merkte der Psychologe das nicht und befreite sich von dieser Last, verkaufte das Haus und schloss mit der Vergangenheit ab? An seiner Stelle hätte Nelly keinen Moment gezögert. Niemals wäre sie in einem Gemäuer mit einem derart schlechten Karma wohnen geblieben. Doch der für die feinsten Schwingungen und Gemütszustände anderer überaus empfängliche Alessandro Palmieri schien gegen den eigenen Seelenballast immun zu sein.
Der muss sich eine mordsmäßige Selbstanalyse verpasst haben, dachte Nelly gerade, als seine Frage sie völlig unvorbereitet traf. Was die Dottoressa darüber denke, wollte der Kriminologe wissen, und die Dottoressa sah sich gezwungen, errötend zuzugeben, dass sie einen Moment nicht bei der Sache gewesen sei. Ob er die Frage freundlicherweise wiederholen könne? Palmieri lächelte leicht ironisch, als hätte er ihre Gedanken gelesen, und fasste die Ergebnisse noch einmal geduldig zusammen.
»Wir haben es mit einem teils typischen, teils atypischen Serienmörder zu tun. Zweifellos gehört er zu der planvollen Kategorie, er bereitet sorgfältig vor und versucht, sich nicht fassen zu lassen. Er verfügt über eine gesunde Intelligenz. Er scheint Frauen nicht wirklich zu hassen, obwohl er sie umbringt. Vielleicht gehört er zum ›missionarischen‹ Typ, der beispielsweise glaubt, sie vor einem schmachvollen Leben zu bewahren. Irgendwo muss dennoch Hass im Spiel sein, ein übermächtiges Kontrollbedürfnis, die Triebfeder für seine Handlungen. Hassliebe, der Wunsch, zu helfen und zu zerstören, eine tödliche Kombination. Nur können uns sämtliche Analysen der Welt leider nicht verraten, ob und wann er wieder von sich hören lassen wird. Auf seine undurchschaubare Art scheint er einen unstillbaren Blutdurst zu haben. Etwas für ihn sehr Schwerwiegendes hat die Hemmschwellen niedergerissen und dafür gesorgt, dass er seine bisherigen Phantasien in die Tat umsetzt. Was, können wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. Eine Kündigung? Eine verwehrte Beförderung? Der Bruch mit dem Partner? Finanzielle Probleme? Was hat ihn so unter Stress gesetzt und seine Krankheit hervorbrechen lassen? Die einzige Möglichkeit, ihn aufzuhalten, ist, seinen inneren Weg nachzuvollziehen, der sich in einem realen, räumlich-zeitlichen und von Blut gezeichneten Weg niederschlägt. Wen bringt diese Person in Wirklichkeit um? Wessen Gesicht will er
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