Das boese Blut der Donna Luna
Horizontlinie verschmolz mit dem ebenso grauen Himmel. Alles sah aus wie versteinert, der Himmel, das Meer, wie aus Schiefer. Die feuerrote Sonne hatte sich auf der Suche nach Abkühlung ins Meer fallen lassen, und ihre Spuren hatten sich bereits im Grau verloren. Die hat’s gut, ist abgetaucht. Wieso hört man die Stadt hier oben im Sommer eigentlich noch lauter als sonst, wo die Nerven doch ohnehin schon blankliegen wegen der Hitze, und nicht nur deswegen. Die nach Osten gekrümmte Mondsichel sah aus wie ein matter Silberstreif, der sich kaum vom Grau des Himmels unterschied. Trotz der alles andere als frischen Temperaturen, die sich von der Glut des Tages nur unwesentlich unterschieden, erschauerte Nelly bei seinem Anblick. Wo war Simba? Hatte er sich wieder auf die Jagd begeben, oder war sein Blutdurst gestillt?
Sie las das von Palmieri erstellte Profil noch einmal: Männlich, zwischen zwanzig und fünfundvierzig Jahre alt, intelligent, gerissen. Obsession für einen bestimmten Frauentyp: Ausländerin, Prostituierte? Missionarisch, retten-zerstören, Hassliebe. Aber auch für sich behalten, bewahren. Kontrollieren. Nicht loslassen, Furcht, vielleicht Angst, verlassen zu werden? Hass wegen einer erlittenen oder eingebildeten Trennung? Gegenwärtig unter starkem Stress, zwanghaftes Töten in kurzen Abständen, mögliche Abweichungen vom Verhaltensmuster, von Leichen flankierter Erinnerungsweg, um eine einschneidende Erfahrung, die sich womöglich an diesen Orten abgespielt hat, loszuwerden. Oder sie noch einmal zu durchleben.
Palmieri mag ein komischer und zuweilen zwielichtiger Kauz sein, und vielleicht gehe ich ihm gegen den Strich, aber als Profiler lasse ich nichts auf ihn kommen. Der hat ins Schwarze getroffen, ich spüre, dass er recht hat. Aber diese Vermutungen, dieses Mörderprofil ist nur ein Anfang, ein Versuch, ihn zu durchschauen. Wir haben nichts Konkretes in der Hand. Du bist irgendwo da draußen, du Dreckschwein, hübsch versteckt. Nelly blickte auf die Schieferdächer der Altstadt hinunter, deren Grau mit dem des Himmels und des Meeres in einem unwirklichen Dunst verschwamm. Was denkst du, was planst du, wer bist du? Verflucht seist du für die Zerstörung, die du anrichtest. Wie sehr du auch leidest, du hast kein Recht, unschuldige Leben auszulöschen. Hätten wir nur das winzigste Fitzelchen einer Spur, den Hauch einer Ahnung, eine Möglichkeit, dich festzunageln, ehe du das nächste Mal zuschlägst ...
Der Halbmond war fast perfekt und stand blass schimmernd am Himmel. Wütend stellte Nelly fest, dass sie den entscheidenden Moment verpasst hatte und das Wasser bereits abgestellt war. Keine Dusche heute Abend. Leise fluchend ging sie in ihr Zimmer, zog sich nackt aus, streckte sich auf dem noch von der letzten Nacht zerwühlten Laken aus und schlief ein. Ein rastloser, unruhiger Schlaf. Schwitzend wälzte sie sich im Bett hin und her, wachte aber nicht auf, als der Schlüssel sich vorsichtig im Schloss drehte und Mau lautlos in die Wohnung schlüpfte. Als er durch die halboffene Tür gesehen hatte, dass seine Mutter schlief, schlich er auf der Suche nach etwas Essbarem in die Küche. Die Katzen strichen ihm um die Beine und bekamen einen Extrabissen. Dann erlosch auch das Licht in der Küche, und die Wohnung versank in der bleiernen Finsternis der Sommernacht.
VIII
Samstag, mit einem zusätzlichen Hitzeschub zum Wochenende. Kein Lüftchen regte sich, man schwitzte schon beim Atmen. Zum Glück gab es morgens für zwei Stunden Wasser. Nelly schwang sich aus dem Bett, stürzte unter die Dusche, deren widerlich lauwarmes Geplätscher ihr wie die Rettung erschien. Mit noch nassen Haaren (ah, wie herrlich!) sah sie nach, ob Mau nach Hause gekommen war. Da lag er quer in seinem Bett. Allein. Gutes Zeichen, schlechtes Zeichen? Na los, einen Kaffee, um es bis zu Beppe zu schaffen, auf geht’s. Sie schlüpfte in eine Art weiten, leichten, orangefarbenen Kaftan, der sich mit ihrer Haarfarbe biss. Flipflops und unter dem Kleid (so gut wie) nichts. Wen juckt’s, schließlich muss diese dämliche Hitze irgendwann einmal ein Ende haben, und wenn nicht, rennen im Präsidium demnächst sowieso alle in Badehose rum. Sie sah auf Maus Wecker, er hatte ihn auf acht Uhr gestellt, gut, noch eine Viertelstunde. Sie kippte den ersten Kaffee hinunter, steckte die Mappe mit Palmieris Mörderprofil in die große Wildledertasche, schüttete ein paar Brekkies in die Katzenschälchen und stürzte
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