Das boese Blut der Donna Luna
wandte sich wieder an die Alte.
»Dolores, Signora?«
»Dolores weint, hat Weh, dolore... la, la, lala, lalalala ...«
»Haben Sie sie Sonntag gesehen, Signora?«
»Wieso nennen Sie mich Signora? Ich bin fast zehn und morgen ist mein Geb... urtstag. Dolores ... mit einem Mann ...«
»Was für ein Mann, Kleines?«
Nelly versuchte, die Aufmerksamkeit der Alten zu gewinnen, doch die fing wieder an zu greinen, sie habe Hunger, und Giulia Bergonzi nutzte die Gelegenheit, um entschieden dazwischenzugehen. Das Trio verließ den Raum, und Amalia trat mit einem Tablett ein, auf dem ein Teller mit weißlichem Brei und ein Fruchtjoghurt standen. Sie lächelte schüchtern, doch die Tochter der alten Dame würdigte sie wieder keines Blickes. Nelly bat, Dolores’ Zimmer sehen zu dürfen, was die Hausherrin mit einem genervten Seufzer quittierte.
Sie stiegen in eine winzig kleine, brütend heiße Dachkammer mit einer Fensterluke hinauf, durch die gedämpftes Licht hereinsickerte. Ein metallener Rost mit Matratze, ein kleiner Schrank, ein Gitterbettchen an der Wand. Dabei ist das ganze Haus leer. Mieses Luder. Nelly war empört. Ein gepackter Koffer lag offen auf dem Bett, ein weiterer, leerer auf dem Boden. Der erste enthielt Dolores’ wenige Habseligkeiten, der andere gehörte offenbar Amelia. Das durchorganisierte Fräulein Tochter hatte wirklich keine Zeit verloren. Nelly streifte ein paar Handschuhe über, um Dolores’ Koffer in Augenschein zu nehmen. Er enthielt vor allem Anziehsachen, Frauen- und Kinderkleidung, eine Madonnenstatue, alte Briefe, die sie einsteckte, um sie später zu lesen, Fotos von Verwandten und aus früheren Tagen in Kolumbien, ein Foto, das sie mit einem lächelnden Mann an einem Restauranttisch zeigte. Nelly steckte sie ein und dachte, dass sie das letzte Pedro Ventura zeigen wollte. Dann schloss sie den Koffer, blickte sich um, ob sie noch etwas übersehen hatte, spähte hinter den Schrank, unter das Bett, in jeden Winkel, wo noch etwas versteckt sein konnte, fand aber nichts. Endlich stieg sie mit dem Koffer in der Hand die Treppe hinunter und fragte die genervte Giulia Bergonzi, die aus ihrem Ärger keinen Hehl machte, wer und wo Dolores’ Freundin sei, die in den letzten Tagen auf das Kind aufgepasst habe. Im Haus nebenan, war die schroffe Antwort. Sie heiße Consuelo. Ein weiterer Schützling? Natürlich.
»Wenn wir Sie noch brauchen sollten, lassen wir es Sie wissen, Signora. Auf Wiedersehen. Ach, welche Öffnungszeiten haben Sie in Ihrem Verein? Ich würde heute oder in den nächsten Tagen gern vorbeischauen oder jemanden vorbeischicken.«
Signora Bergonzi funkelte sie feindselig an und presste zähneknirschend die Sprechzeiten hervor. Nelly verabschiedete sich und ging zu Pedro hinaus, der mit Felipe im Garten spielte. Man hörte das fröhliche Lachen des Jungen. Nelly zog es das Herz zusammen.
Zum zweiten Mal in wenigen Tagen kehrte sie einem Haus erleichtert den Rücken. Sie bat Pedro, noch einen Moment zu warten, ging durch das geöffnete Gartentor hinaus und klingelte an dem der Nachbarvilla. Eine blondgefärbte, mittelgroße, füllige Mittvierzigerin rief einen wütend bellenden Dobermann zurück und öffnete ihr.
»Sind Sie Consuelo?«
»Ja, ich bin Consuelo García, mit wem ...?«
»Polizei, Commissario Rosso. Wir sind wegen Dolores Nieto Llosa hier. Sie waren mit ihr befreundet, richtig?«
»Waren? Also ist Dolores wirklich ...?«
Als Nelly nickte, schlug sie entsetzt und betroffen die Hände vors Gesicht.
» Pobrecita , sie hatte eh schon solches Pech, pobre Felipe, das arme Kind, was für ein Unglück!«
»Das war kein Unglück, Consuelo. Das war kaltblütiger Mord.«
»Aber wer kann einer chica wie ihr so etwas antun wollen?«
»Wie war Dolores?«
»Gut. Fleißig. Vom Pech verfolgt.« Consuelo brach in haltloses Schluchzen aus. Nelly wartete, bis sie sich wieder gefangen hatte, und behielt dabei argwöhnisch den Dobermann im Auge, der sie noch immer drohend anknurrte. Wenn du mich anspringst, erschieß ich dich, du Mistvieh. Der Hund war offenbar mit einem Gedankenlesegerät ausgestattet, denn sofort kniff er den Schwanz ein und lief einer Eidechse hinterher. Glück gehabt. Braves Kerlchen. Nelly liebte Katzen, Hunde weniger. Sie mochte sie zwar, aber manche Rassen machten sie einfach nervös. Als hätte er beschlossen, sie eines Besseren zu belehren, überließ der Hund, vielleicht noch ein Welpe, die Eidechse ihrem Schicksal, kam
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