Das Böse, das im Herzen schläft: Thriller (German Edition)
waren.
Es war, als seien die Tiefpunkte in Rowans Leben allesamt nichts anderes als Proben für das gewesen, was er jetzt empfand. Lydias Zusammenbruch und ihr grausam schnelles Hinscheiden, der Tod seiner Eltern, der Überfall auf Felix– immer hatte er gedacht, das ertrage er nicht, aber jetzt wusste er, das alles hätte er gleichzeitig hinnehmen können, wenn es die entsetzliche Gegenwart auslöschte. Lieber würde er eine Million Mal seine Frau verlieren, lieber sehen, wie Felix Ströme von Blut weinte, lieber für alle Zeit in die offenen Gräber seiner Eltern starren, als zu sehen, wie Sophies Arme hilflos und leer herabhingen.
» Daddy?«, sagte sie.
» Ich rufe die Polizei.« Aber als er den Hörer abnahm, gab es keinen W ählton. Er klopfte damit an die W and, versuchte es noch einmal und wiederholte seine V ersuche mit wachsender Panik und einem zunehmenden Gefühl der Ohnmacht. » Es funktioniert nicht.«
» Das habe ich doch gesagt !«
Matt, der unverzüglich mit der Suche begonnen hatte, versicherte ihnen, im oberen Stock deute nichts darauf hin, dass etwas vorgefallen sei, und verschwand gleich wieder, um den Rest des Hauses zu durchstöbern. W ie Matts nervöse Energie sich in physisches Handeln verwandelte, schien für Rowan nur ein weiteres Licht auf seine eigene Lähmung zu werfen. Aus weiter Ferne hörte er W ill fragen, wie lange sie schon weg seien. Sophie wusste es nicht, und W ill rief Matt aus der Küche zurück. » Ich gehe jetzt raus und rufe Hilfe«, sagte er, » und dann fahre ich mit dem Auto los und suche sie. W enn ich dich bis zum Ende der Zufahrt mitnehme, glaubst du, dann können wir euren W agen aus dem Graben holen, und du fährst ebenfalls herum und suchst?«
» Natürlich. Alles. W as auch immer.«
Sekunden dauerten Stunden. Im W ohnzimmer ließ Felix jetzt die Anschuldigungen, die Sophie ihm an den Kopf warf, über sich ergehen wie ein Mann am Pranger. Irgendwann musste sie Luft holen, und er bekam Gelegenheit, etwas zu sagen.
» Ist es nicht genauso gut möglich und sogar eher wahrscheinlich, dass jemand hier war und sie beide entführt hat?«, fragte er.
Rowan sah sich in der Scheune um. » Felix, wenn das so ist, wo sind dann die Kampfspuren? Du hast Matt gehört: Oben ist nichts. Ein kleines Baby kann man aufnehmen und wegtragen, ohne dass es seine Erlaubnis dazu gibt.« Er sah Sophie an. » Es tut mir leid, Liebes, aber mit einer erwachsenen Frau geht das nicht. Und es sieht wirklich nicht so aus, als ob noch jemand hier gewesen wäre.«
» Das ergibt einfach keinen Sinn«, wiederholte Felix. » Ich bin genauso ratlos wie ihr, aber ich… ich kenne Kerry.«
Sophies Stimme wurde schriller. Rowan ließ sich auf die Knie sinken und versuchte es noch einmal mit dem Telefon. Er schüttelte den Hörer und fuhr mit dem Finger an der Schnur entlang, um zu fühlen, ob der Draht irgendwo gebrochen war. Er fand nichts. Der alte Apparat hatte sie noch nie im Stich gelassen. Ein eiskalter Gedanke durchflutete ihn: V ielleicht war diese Unterbrechung seine Schuld, vielleicht hatte er vergessen, der Telefonfirma einen notwendigen Scheck zu schicken. Er konnte sich an keine Mahnung erinnern, aber für die häusliche Administration war immer Lydia zuständig gewesen, und seit sie nicht mehr da war, war ihm so vieles durch die Finger geglitten. W enn sich herausstellen sollte, dass der verspätete Anruf bei der Polizei entscheidende Folgen hatte, an denen er auch nur teilweise schuldig wäre, würde er sich das nie verzeihen. W enn er irgendwie verantwortlich wäre für das, was passiert war…
Felix’ Stimme brachte ihn wieder zu sich, als er ihm sagte, er werde den Obstgarten übernehmen, wenn Rowan in den Gräben und dahinter suchte.
» Bin gleich bei dir.« Rowan rappelte sich auf, und in seinen Knien knirschte es wie Kies. Oben dröhnten Sophies Schritte, als sie die leeren Zimmer nach ihrem verschwundenen Kind durchkämmte.
FÜNFUNDVIERZIG
Rowan wühlte in den Küchenschubladen, um alte Batterien für noch ältere Taschenlampen zusammenzusuchen, und seine Gedanken schweiften auf merkwürdigen W egen umher. W ie nützlich es wäre, dachte er, wenn wir einen Hund hätten. Hunde konnten Leute wittern. Das sah man dauernd im Fernsehen. Als die Kinder klein waren, hatten sie ihm ständig wegen eines Tiers in den Ohren gelegen, aber das Haus in der Cathedral Terrace war ungeeignet, der Garten zu klein gewesen, und er hatte gewusst, dass er derjenige sein würde, der das
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