Das Böse, das im Herzen schläft: Thriller (German Edition)
und wenn er nicht zurückkam, dann konnte ich es immer noch schaffen. Ich schloss meine W agentür mit leisem Klicken, hielt meine Taschenlampe in der Hand und ging auf das Cottage zu– zusammen mit dem Ich meiner Kindheit und mit meiner Mutter, eine dreiköpfige Armee.
ROWAN
VIERUNDVIERZIG
Sonntag, 3. November
Rowan hatte so etwas noch nie gesehen, nicht seit der Erbsensuppe seiner frühen Kindheit. Toby versuchte, ein Bild ans W agenfenster zu malen; er begriff nicht, dass die Scheibe nicht beschlagen war, sondern dass man wegen des Nebels draußen nicht hinausschauen konnte. W ill duckte sich angespannt und in stummer Konzentration hinter dem Steuer, und Matt saß neben ihm, offensichtlich vergrätzt, weil Tara erlaubt hatte, dass Sophie seinen W agen nahm. Jake war auf dem Rücksitz mit seiner Maschine verkabelt; ein schneller, blecherner Rhythmus war durch das Schnurren des W agens gerade noch hörbar. Links neben Rowan erschlaffte Leo allmählich im Schlaf. Erst war die untypische Stille eingetreten, dann hatte sich ein Arm an den seinen gedrückt, und jetzt schlug der heiße kleine Kopf in regelmäßigem Takt an seine Schulter, und der Mund hing offen und zeigte eine Reihe Zähne, die noch nicht im richtigen Maßstab ausgewachsen waren. Rowan hob den Arm und schlang ihn um Leos Schulter. Der Junge war eigentlich schon zu groß zum Knuddeln, aber vielleicht würde er die Chance dazu nicht noch einmal bekommen. Man konnte ja nicht mehr sagen, wie schön es war, Kinder im Arm zu halten und nah bei sich zu haben.
Er starrte auf das blinde Fenster und beglückwünschte sich im Stillen, weil er das V olksfest überlebt hatte. Er hatte das Mitgefühl und die Beileidsbekundungen über sich ergehen lassen, und immer wenn jemand von Lydia gesprochen hatte, hatte er genickt und ihm gedankt und den Schrei heruntergeschluckt, der seit Freitag in seiner Kehle lauerte. Die Bilder dieses Nachmittags kamen ihm immer wieder in den Sinn, der Mut, den er hatte aufbringen müssen, um das erste Tagebuch zu öffnen, das Herzweh der dabei geweckten Erinnerungen, und dann, im letzten Buch, dieses vier Seiten lange Geständnis, das sie so spät in ihrem Leben zu Papier gebracht hatte. Die blauen Tintenschleifen ihrer Beichte straften all ihre Predigten, die sie über W erte gehalten hatte, mit einem Schlag Lügen– W erte, die sie, ja sie beide ihren Kindern eingetrichtert hatten. Sein instinktiver Impuls war es gewesen, diese Seiten aus dem Buch zu reißen. Er hatte sie zerknüllt, und dann hatte er sich betrunken, wie er es seit seiner Studentenzeit nicht mehr getan hatte. Stunden später, als der schwere Port immer noch in seinen Adern kreiste, hatte ihn derselbe Instinkt, der ihn getrieben hatte, Buch für Buch zu verbrennen, dazu gebracht, die belastenden Seiten zu behalten, sie glatt zu streichen und immer wieder zu lesen, bis er sie seinem Gedächtnis eingeprägt hatte, und dann hatte er sie ins Feuer geworfen. Oder doch nicht? Die Erinnerung daran, wie die schrecklichen W orte sich auf seinem kleinen Scheiterhaufen kräuselten und vergingen, hatte etwas Unwirkliches an sich wie eine Szene aus einem späten Film, den er im Sessel dösend gesehen hatte.
Will bog sehr vorsichtig in die Zufahrt ein, und die Scheinwerfer frästen zögernd eine Schneise in den Nebel. Nach ungefähr fünfzig Metern– bei dieser schlechten Sicht waren Entfernungen schwer zu schätzen– bremste er scharf, und im nächsten Augenblick brach das Chaos los. Mit hektischem Geschrei untersuchten sie den W agen und suchten panisch die Umgebung ab. Ihre verzweifelten Spekulationen gingen weiter, als klar war, dass niemand hier war. Das hätte die ganze Nacht so weitergehen können, wenn Rowan nicht befohlen hätte, wieder einzusteigen. W ill legte den Rest des W egs schnell zurück, und die Kinder saßen unangeschnallt auf dem Rücksitz. Sophie stand in der Tür, und ihr Gesicht verriet ihm gleich, dass es um mehr als nur einen ramponierten W agen ging. W ill redete mit ihr, aber sie starrte Tara an und bat sie, die Jungen ins Bett zu bringen. Diese eine schlichte Anweisung schien für Tara sehr viel mehr zu bedeuten. Rowan war erschrocken und beeindruckt von der effizienten Autorität, mit der sie Charlie vom Sofa aufsammelte und die beiden anderen Jungen vor sich her und hinauf zum Bunker trieb: Als die Bunkertür sich geschlossen hatte, ging Sophies Flüstern in ein Schluchzen über, und sie berichtete ihnen, dass Edie und Kerry verschwunden
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