Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Böse, das im Herzen schläft: Thriller (German Edition)

Das Böse, das im Herzen schläft: Thriller (German Edition)

Titel: Das Böse, das im Herzen schläft: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erin Kelly
Vom Netzwerk:
endlich umstimmen. Ich war schließlich erst zwölf. Wie er mir ganz gelassen mitgeteilt hatte, dass mein Stipendium an ein musikalisches Wunderkind gegangen sei. Wie seine Kinder mich ausgelacht hatten. Als ich geendet hatte, war Mutter starr vor Wut, und ihre Hände bestanden aus harten Knöcheln.
    » Ein Kind abzuweisen und dann zu schikanieren– ein Kind «, zischte sie. » Was sind das für Leute, diese MacBrides? So viel Macht und Privilegien so zu missbrauchen! Ich ertrage nicht, das zu hören. Ich leide unvorstellbare Qualen. Wer eine Mutter verletzen will, tut es durch ihre Kinder. Was dir zustößt, stößt auch mir zu.«
    » Oh, ich wünschte, ich hätte es dir gar nicht erzählt!«, rief ich. » Ich wollte nicht, dass sie dich auch noch verletzen!« Wieder verlor ich die Beherrschung, und im Lichte dessen, was sie gerade gesagt hatte, hasste ich mich selbst noch mehr, aber jede Träne, die ich rollen ließ, war ein weiterer Schlag auf die offene Wunde ihres Schmerzes.
    » Oh, mein Liebling, nein, ich gebe dir keine Schuld. Du weißt, dass du etwas Besonderes bist. Das weißt du. Sie sind schuld. Nicht nur dumm, weil sie nicht erkennen, was du bist, sondern auch noch unhöflich und grausam. Das ist typisch für die akademische Welt, fürchte ich: Die, die etwas verdienen, sind nicht immer die, die es auch bekommen. Na ja. Wir werden der Sache auf den Grund kommen. Hinter dieser Ablehnung steckt sicher mehr, als wir ahnen. Aber wir werden diese Schule– diese Familie– nicht so einfach davonkommen lassen.«
    Unvermittelt sprang sie vom Bett auf, und ihre Trauermaske verwandelte sich in ein strahlendes Lächeln.
    » Aber…! Wir dürfen uns von diesem kleinen Rückschlag nicht von unserem Unterricht abhalten lassen! Wir müssen dich nach Oxbridge bringen, Liebling. Wir müssen jetzt noch mehr beweisen. Wenn wir richtig büffeln, kannst du vielleicht sogar ein Jahr früher hin… Weißt du, ich glaube, du bist alt genug, um mit Spenser anzufangen.«
    Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, zog eine ziegelsteingroße Anthologie aus dem Bücherregal, setzte sich wieder hin und klopfte mit der flachen Hand neben sich auf das Bett. Dieser lebhafte, irrwitzige Optimismus war beinahe ebenso unerträglich wie ihr Leiden, aber ich schmiegte mich trotzdem in den gebogenen Stahl ihrer Umarmung und fing an, aus The Faerie Queene vorzulesen.
    Die Abendessenszeit kam und ging. Als der Hunger mich überwältigte und ich fragte, ob wir etwas im Haus hätten, deutete sie auf die Schale mit den zuckerfreien Süßigkeiten auf dem Fenstersims. Ich aß ein bisschen davon und machte uns beiden eine Tasse Tee. Sie trank ihren nicht mehr mit Milch, und wir hatten nur noch weißes Pulver. Auch davon aß ich zerbröckelnde Klumpen, zwang sie herunter wie den Kloß in der Kehle, der die Tränen ankündigt.

FÜNFZEHN
    Oktober 1997
    Am ersten Tag des Herbsttrimesters sah ich zu, wie die neuen Schüler der Cath durch das Eingangstor der Anstalt strömten. Der jüngste MacBride, Felix, war auch dabei. Er wurde begleitet von seinen älteren Schwestern, ihrem Vater– der ohne seinen Talar kleiner aussah– und einer Mutter, die ihnen nachwinkte und Kusshände durch das Zaungitter warf, ehe sie, von mir beschattet, nach 34 Cathedral Terrace zurückging. Sie erschien mir in vielerlei Hinsicht wie das Gegenteil meiner Mutter: blond, rundlich, glücklich und zuversichtlich, verdünnt und verteilt auf drei Kinder und einen Mann, statt konzentriert in ein einziges Kind gegossen. Die Familie war alles, was wir nicht waren, und hatte alles, was wir nicht hatten.
    Ich verbrachte in diesem Herbst eine Menge Zeit damit, durch die Straßen von Saxby zu laufen, vom Marktplatz zur Ringstraße und weiter durch das uralte Labyrinth, das sich kreuz und quer durch das Kathedralenviertel zog. Immer sorgte ich dafür, dass mein Weg mich durch Cathedral Terrace führte, und immer blieb ich vor dem Haus Nummer 34 stehen und lehnte mich an eine der Platanen, um die Familie zu beobachten. Aus dem Dunkeln kann man ins Licht schauen, aber nicht umgekehrt. Sie hatten keine Gardinen vor ihren großen Fenstern, und so wurde das Haus nach Einbruch der Dämmerung zu einem Spielzeugtheater, in dem die MacBrides vor der dunkelroten Kulisse des Wohnzimmers ihre häuslichen Dramen aufführten. Ich sage » Dramen«, aber es gab kaum Konflikte in diesem selbstbezogenen, selbstzufriedenen Haushalt. Offenbar wussten sie absolut nichts über die Welt hier draußen und über

Weitere Kostenlose Bücher