Das Böse, das im Herzen schläft: Thriller (German Edition)
den MacBrides zu sehen. Ich hielt inzwischen nicht mal mehr den Anschein aufrecht, als kümmerte ich mich um die Obsession meiner Mutter, aber nach all der Zeit fühlte ich mich irgendwie mit den Leuten verbunden. Ja, je länger meine Mutter ihnen zürnte, weil sie meine Schulausbildung » gestohlen« hatten, desto wütender wurde ich, weil sie es nicht getan hatten. Ich brauchte einen Haken, an dem ich diesen Hass aufhängen konnte.
Anscheinend war nur Lydia zu Hause. Sie saß im Wohnzimmer und las ein Buch, und auf einem Beistelltisch stand ein Glas Weißwein. Ich konnte sie nicht mehr sehen, ohne an das zu denken, was sie über mich geschrieben hatte, und ich bemühte mich, die Lippen über die Zähne zu stülpen.
Der kühle, stille Abend bot die perfekte Akustik für den Schrei. Er schien von irgendwo hinter der Terrace zu kommen, vielleicht von da, wo ich Felix überfallen hatte. Ehe ich mich versah, kam eine mit einer Kapuze verhüllte Gestalt mit einer überquellenden Einkaufstüte durch die Lücke zwischen den Reihenhäusern gerannt, überquerte die Straße mit drei Schritten und verschwand zwischen den Büschen auf dem Green. Ich bückte mich, wie jeder andere es getan hätte, um zu sehen, was da aus der Tüte gefallen war, und ich brauchte ein paar Augenblicke, um zu erkennen, dass das Plastikdreieck in meiner Hand die Scheide für eine Messerklinge war. Auf einer Seite war das Wort » Küchenteufel« eingestanzt.
Ich habe keine Ahnung, wer den Alarm gegeben hatte, aber es war, als seien nur wenige Sekunden vergangen, als ein Streifenwagen da war. Der Lärm rief ein paar Anwohner vor ihre Haustüren, und sie murmelten » Ach du liebe Güte!« und » Nicht schon wieder!« und » Was muss denn noch passieren, bevor sie die verdammten Überwachungskameras in der Passage installieren!«. Unter ihnen war auch Lydia MacBride mit ihrem Buch in der Hand.
Ich ließ die Messerhülle fallen und wollte weglaufen. Ich machte auf dem Absatz kehrt und sah vor mir die polierten Silberknöpfe einer Polizeiuniform. Die Nummer an der Schulter des Polizisten war 089.
» Darcy Kellaway.« Er hob die Messerscheide auf und steckte sie in einen Plastikbeutel. » Und wo ist das Messer?«
» Das gehört nicht mir!«, sagte ich. » Ich hab’s nur aufgehoben, um zu sehen, was es war. Der da weggelaufen ist, hat es fallen lassen.«
» Lass mich raten: ein Kapuzenshirt, im Dunkeln nicht weiter zu erkennen, durchschnittlich groß?«, sagte PC 089.
» Ja!«, rief ich empört. » Das Shirt hatte so orangegelbe Paspeln rundherum. Ich kann doch nicht der Einzige sein, der ihn gesehen hat.«
» Ich habe gesehen, was passiert ist«, ertönte eine sanfte Stimme neben mir.
Ich drehte mich zu meiner Retterin um und schaute in Lydia MacBrides blaue Augen. Sofort und gleichzeitig erkannten wir einander. Wut blitzte in ihrem Blick auf. Ich kannte diesen Ausdruck; ich hatte ihn schon bei meiner Mutter gesehen und auch gespürt, wie er aus meinem eigenen Inneren heraufkroch. Ich fühlte die Hitze ihres Hasses von Angesicht zu Angesicht genauso deutlich wie in ihrem Tagebuch.
» Ich habe niemanden gesehen außer dir«, sagte sie in einem völlig neutralen Ton.
» Nein!«, protestierte ich.
Wie konnte sie so einfach lügen? So eiskalt? Es verlieh der Theorie meiner Mutter über meinen Ausschluss aus der Schule neue Glaubwürdigkeit, und trotz aller Angst bekam ich Gewissensbisse, weil ich an ihr gezweifelt hatte.
» Danke, Mrs MacBride. Wären Sie bereit, aufs Revier zu kommen und diese Aussage zu Protokoll zu geben?«
» O ja.« Jetzt zuckten ihre Lippen, als müsse sie ein Lächeln unterdrücken.
» Sie lügen doch! Sie lügt! Sie können gar nicht gesehen haben, wie ich etwas tat, weil ich nichts getan habe! Sie wollen mir nur was anhängen, weil ich…« Ich bremste mich gerade noch rechtzeitig. Beide zogen die Brauen hoch, und Lydia verlor den Kampf gegen ihr höhnisches Lächeln.
» Ja?«, sagte PC 089. » Nein, das glaube ich nicht. Darcy Kellaway, du bist vorläufig festgenommen wegen Verdachts auf schweren Straßenraub. Du brauchst nichts zu sagen…«
» Bitte, ich muss das hier zu meiner Mutter bringen.« Ich schwenkte die Tüte mit dem Lachs hin und her. » Sie muss essen, sie verhungert sonst.«
Der Polizist verdrehte die Augen. » Wir sind hier in Saxby, nicht in Äthiopien.«
» Aber Sie haben sie doch gesehen«, sagte ich, aber dann wurde mir klar, dass das natürlich schon eine Zeit lang her war, als sie noch bei
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