Das Böse, das im Herzen schläft: Thriller (German Edition)
aus Balken und Streben durchzogen, und die satten Rottöne von Sofas, Teppichen und Wandbehängen vermittelten den Eindruck, man stehe im Bauch eines mächtigen Ungeheuers. Sophies Blick wanderte zu einem gerahmten Familienfoto, aufgenommen in einem Sommer, in dem sie etwa sieben und die anderen noch im Babyalter gewesen waren. Es war wie ein Stein, der in den stillen Teich ihrer Trauer geworfen wurde, und sie zwang sich, woanders hinzuschauen.
Sie ließ den Blick wieder durch das Wohnzimmer wandern, und jetzt suchte sie nach Schuhen, Mänteln, Büchern, Tassen, nach irgendeinem Anzeichen dafür, dass kürzlich jemand hier gewesen war.
Eine weitere Stalltür am hinteren Ende des Wohnzimmers führte in den Anbau, in dem die Küche untergebracht war. Auch sie lag im Dunkeln. Eine steile Treppe an der rechten Wand führte auf den alten Heuboden, der in Schlaf- und Badezimmer aufgeteilt worden war. Die Schlafquartiere waren so eng, wie der Wohnraum hallenartig geräumig war. Die freigelegten Streben und Tragbalken und die hohe Decke des Hauptraums waren auf Kosten der oberen Zimmer erhalten geblieben. Ein Korridor verband eine Reihe von benachbarten Schlafkammern und Bädern, die sperrig unter der Dachschräge klemmten, durchsetzt von Fallen– unebenen Böden, niedrigen Decken, winzigen Türen. Sophie knipste das Licht auf der Treppe an: nichts. Wo war er?
Mit großer Feierlichkeit fing Toby an, die antike Standuhr aufzuziehen, die dem Kamin gegenüber an der Wand stand. Dieses Ankunftsritual hatte er zu seinem eigenen gemacht. Nach getaner Arbeit wurde er wieder zum Kind und schloss sich seinen Brüdern an, die Purzelbäume über die Sofas schlugen und im Slalom um wackelnde Stehlampen rannten.
Die Scheune, daran musste Sophie jetzt wieder denken, war ein Albtraum für frisch gebackene Eltern. Sie waren ganz sicher gewesen, dass Charlie ihr Letzter sein würde, aber jetzt mussten sie das ganze Anwesen schon wieder babysicher machen, wahrscheinlich noch bevor sie heute zu Bett gingen. Wo hatten sie nur all die Steckdosendeckel und Kaminschirme hingeräumt? Ich muss Mum fragen, dachte sie reflexhaft, und eine einzelne, ätzende Träne brannte in ihrem Augenwinkel. Edie seufzte, und behutsam legte Sophie sie in den großen Sessel, dankbar für die Fähigkeit ihrer Tochter, jeden Wechsel vom Sofa zum Bett, vom Kindersitz zum Arm einfach zu verschlafen.
Ein dumpfer Schlag von oben verriet ihr, dass Leo und Charlie den Weg ins obere Stockwerk gefunden hatten. Das Geräusch schien senkrecht herunterzukommen, was vermuten ließ, dass sie in Rowans Zimmer waren, aber das musste nicht zwangsläufig so sein. Die Stimme der Scheune folgte gewundenen Wegen; manche Räume waren völlig schalldicht, andere regelrechte Flüstergalerien, in denen gedämpfte Gespräche klar und deutlich anderswo ankamen. Diese Bauchrednerkunst war einmal ein Teil ihres Charmes gewesen, aber heutzutage wusste Sophie gern genau, wo ihre Kinder sich aufhielten, und fast genauso wichtig war es ihr, dass alle wussten, dass sie es wusste.
Die Tür zur Schmutzdiele stand offen, aber von hier aus war nicht zu erkennen, ob dort etwas durcheinandergebracht worden war. Gummistiefel und gewachste Jacken aus drei Generationen waren in Regale gestopft und an Haken gehängt worden, lagen auf dem Boden verstreut und türmten sich auf dem klobigen Wasch- und Trockenautomaten, dem einzigen Gerät von moderner, teurer, energieeffizienter Technologie in diesem Haus. Der müde alte Küchenherd hatte seinen Charme wie auch der Flötekessel und sogar der rumpelnde alte Kühlschrank, aber diese Maschine musste in der Lage sein, die Sachen der Kinder so schnell zu waschen und zu trocknen, wie diese sie schmutzig machen konnten. Wenn sie sich anzogen, um hinauszugehen, pflegte jeder sich das nächstbeste Stück zu greifen, sodass Sophie nie wusste, ob sie am Ende den alten, stockfleckigen Barbour ihres verstorbenen Großvaters oder eine moderne Gore-Tex-Jacke abbekommen würde.
In der Küche verschwand der Geruch von brennendem Staub unter etwas Stärkerem– so als sei hier kürzlich ein Feuer angezündet worden; aber als Sophie die Hand an den Herd legte, berührte sie kaltes Eisen. Das Küchenfenster hatte keinen Vorhang, und man spiegelte sich darin. Die Doppelverglasung lieferte noch ein Geisterbild von Sophies Gesicht; alles war zweimal zu sehen, auch die violetten Tümpel ihrer Augenhöhlen und die Falten, die ihren Mund einklammerten. Ein kleines weißes Gesicht
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