Das Böse, das im Herzen schläft: Thriller (German Edition)
zum ersten Mal nicht von Lydia MacBride in Anspruch genommen, sondern von dem Drama, das sich vor dieser Kulisse aus Walnussholz abspielte. Kerry Stone hatte angeblich einem zehn Monate alten Jungen namens Conor Watson nachgestellt, dessen Mutter mit ihm den Kinderspielplatz besucht hatte, auf dem Kerry ihre inhaltsleeren Tage verbrachte. Anfangs war die Mutter gerührt über die Aufmerksamkeit gewesen, mit der Kerry ihr Kind überhäuft hatte, aber aus einem gelegentlichen Lebkuchenmann waren Überraschungsgeschenke geworden, auf die Angebote zum Babysitten gefolgt waren, die sich wiederum, als sie abgelehnt wurden, in ungebetene Besuche am Abend und stündliche Telefonanrufe die ganze Nacht hindurch verwandelt hatten. Kerry war plötzlich da, wenn Conors Mutter mit ihm aus dem Haus kam, und erbot sich, den Kinderwagen zu schieben oder mit ihm in den Park zu gehen. In ihrer von der Staatsanwaltschaft verlesenen Aussage gab Mrs Watson an, sie sei wegen Angstzuständen in Behandlung, lebe in ständiger Angst vor einer Entführung und sei zu Verwandten nach Irland gezogen, bis Kerry unter Kontrolle sei. Die Angeklagte saß während des gesamten Vortrags mit gesenktem Haupt da. Ich versuchte, sie mit der Kraft meines Willens zum Aufblicken zu bewegen, und wünschte verzweifelt, ich könnte ihr Gesicht noch einmal sehen, aber sie blieb zusammengesunken sitzen, auch als ihre Verteidigerin das Wort ergriff und ein Schuldeingeständnis signalisierte.
» Es ist wichtig, dass sich das Gericht der mildernden Umstände für das Vergehen meiner Mandantin bewusst ist«, sagte sie. » Kerry leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung nach dem Verlust ihres eigenen ungeborenen Sohnes durch einen gewalttätigen Angriff seitens ihres Partners Dean Prescott aus Saxby im siebten Monat der Schwangerschaft. Prescott hat derzeit eine fünfjährige Haftstrafe wegen versuchten Mordes abzusitzen. Zusätzlich zu diesem Verlust hat Kerry sich wegen der dabei erlittenen Verletzungen der Gebärmutterentfernung durch eine Notoperation unterziehen müssen. Hätte sie ihren eigenen Sohn austragen können, wäre er genauso alt wie Conor Watson.«
Die Angeklagte legte die Hände vors Gesicht, und nur das pendelartige Schwingen ihrer großen goldenen Ohrringe ließ erkennen, dass sie weinte.
» Dies entschuldigt Kerrys Verhalten nicht, aber es trägt doch viel dazu bei, es zu erklären, und wir bitten das Gericht, diese Erklärung bei seinem Urteil zu berücksichtigen.«
» Erhält sie irgendeine Form von Therapie?«, fragte Lydia mit gespielter Fürsorge.
» Ja«, sagte die Anwältin. » Und sie hat Kontakt zu Women’s Haven. Das ist eine Hilfsorganisation, die verletzbaren Frauen hilft, sich…«
» Ich weiß, was Women’s Haven ist, vielen Dank«, sagte Lydia und ließ den Blick zur Galerie wandern. » Ist ein Vertreter der Organisation anwesend?«
» Nein«, gestand die Anwältin. » Sie wissen doch, wie knapp die Mittel…«
» Das weiß ich durchaus«, sagte Lydia MacBride. Die drei Richter steckten die Köpfe zusammen und berieten sich eingehend. Als sie fertig waren, war es natürlich wieder Lydia, die sprach.
» Wie wir hören, hat die Angeklagte keine familiären Bindungen in diesem Teil des Landes. Wir nehmen das zur Kenntnis wie auch den Umstand, dass die Eltern des Kindes in Erwägung gezogen haben, Saxby, ihren Geburtsort, zu verlassen. Tatsächlich halten Mutter und Kind sich zurzeit bei Verwandten im Ausland auf. Das Wohlergehen des Kindes steht natürlich an oberster Stelle, und daher lautet unser Urteil, dass eine Verfügung zum Schutz vor Belästigung erlassen wird. Die Fernhalteverfügung erstreckt sich auf den gesamten Verwaltungsbezirk Saxby.«
Was war das nur mit diesem Ort und seinen Fernhalteverfügungen? Es war typisch für Lydia MacBride und typisch für Saxby, die Stadt für die Reichen und Privilegierten offen zu halten und für jeden zu versperren, der nicht in diese Elite hineingeboren worden war. Sie waren noch nicht sehr weit entfernt von der mittelalterlichen Praxis, die Stadttore nachts zu verrammeln.
» Man wird Ihnen bei der Neuansiedlung an einem anderen Ort behilflich sein. Normalerweise würde man Sie auffordern, sich unverzüglich zu entfernen, aber da die Familie nicht anwesend ist, haben Sie noch ein paar Tage Schonfrist.« Sie warf ihren Kollegen einen kurzen Blick zu. » Zweiundsiebzig Stunden dürften ausreichen. Die Hilfsorganisation ist mir vertraut, und ich weiß, sie haben
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