Das Böse, das im Herzen schläft: Thriller (German Edition)
Verbindungen überall im Land. Ich bin sicher, man wird dort einen anderen Wohnort für Sie finden können, weit weg von den Watsons.« Sie legte ihren Stift aus der Hand und schaute über den Rand ihrer Brille hinweg. » Ich fühle durchaus mit Ihnen. Ich bin selbst Mutter, und ich kann mir kaum vorstellen, wie schmerzhaft die Umstände waren, unter denen Sie Ihr Kind verloren haben. Wir leiden und wir fühlen durch unsere Kinder, wie es sich ein Mensch ohne Familie niemals ausmalen kann– selbst wenn wir sie nie kennenlernen. Aber es bleibt eine Tatsache, dass Sie mit diesem Kind nichts zu tun haben. Sie behaupten zwar, es zu lieben, aber Sie bringen es in beträchtliche Nöte. Als Mutter stelle ich seine Bedürfnisse an die erste Stelle.«
Endlich blickte Kerry Stone auf. » Elendes Miststück!«, sagte sie.
In dieser Sekunde wurde sie meine Schwester im Schicksal, ein weiteres Opfer der Vorurteile dieser Frau. Plötzlich musste ich mit ihr sprechen, und meine Gründe dafür reichten weit über ihre bloße Attraktivität hinaus.
Lydia schob ihre Brille wieder hoch. » Ich werde so tun, als hätte ich das nicht gehört, aber noch mehr davon, und wir sehen uns noch einmal wegen Missachtung des Gerichts.«
Die Zuschauergalerie lag eine Etage höher als der Gerichtssaal. Als Kerrys Anwältin sie zur Tür hinausbegleitete, stürmte ich hinaus und rannte eine geschwungene Treppe mit Messinggeländer hinunter zu den beiden, die im Gespräch zusammenstanden.
» Sie hat mir Conor weggenommen. Er war alles, was ich hatte. Ebenso gut hätte sie ihn mir aus den Armen reißen können.«
Erzwungene Geduld ließ die Stimme der Anwältin angespannt klingen. » Kerry, Conor war nie Ihr Kind. Das wissen Sie.«
» Ich hätte ihm nie etwas angetan. Ich liebe ihn.« Ihre Augen wurden schmal. » Das werde ich ihr heimzahlen.«
Die angespannte Stimme schien zu reißen. » Kerry! Jetzt sind Sie wirklich albern! Für den Urteilsspruch sind drei Richter erforderlich. Sie war nur die Sprecherin, und überhaupt, sie ist äußerst mitfühlend, wenn man sie mit ein paar anderen vergleicht. Sie hätten sehr viel schlechter wegkommen können als mit Mrs MacBride. Ehrlich gesagt, ich finde, es ist gut für Sie gelaufen. Sie hätten eine Gefängnisstrafe bekommen können, aber Sie brauchen nicht mal gemeinnützige Arbeit abzuleisten.«
» Und wo soll ich jetzt hin?«
» Sie haben das Gericht gehört. Die Einrichtung wird Ihnen behilflich sein. Hören Sie, Kerry, ich muss los. Ich habe heute Nachmittag noch einen Termin beim Familiengericht. Alles Gute für Sie, okay?« Sie drückte kurz Kerrys Oberarm, und als sie an mir vorbeistürmte, murmelte sie vor sich hin: » Danke, dass du mir den Knast erspart hast, Alison, danke, dass du mich aus der Patsche geholt hast, Alison.« Ich sah, wie sie vor dem Ausgang ihre Hand am Rock abwischte.
Kerry Stone drückte sich an die Wand und weinte ein bisschen. Ich ging in die Knie, sodass ich vor ihr hockte.
» Schon gut, schon gut, ich gehe ja, ich gehe«, sagte sie.
Ich griff nach ihrer Hand. Ihre Acryl-Nägel, pinkfarben mit weißen Spitzen, saßen schon so lange auf den Fingern, dass die rissigen Nagelhäute darunter sichtbar wurden. » Nein, ich will Sie nicht verjagen. Ich will mit Ihnen sprechen. Ich glaube, Sie und ich, wir haben etwas gemeinsam.«
Sie betrachtete meine teure Kleidung. » Sie und ich?«, wiederholte sie.
» Möchten Sie etwas trinken gehen?«, fragte ich.
Die Weinbar war in einem Keller, nicht weit von Kenneth’ alter Wohnung. Als wir die Steinstufen in das Lokal hinunterstiegen, war es, als gehe der Tag ohne Dämmerung in den Abend über. Kerzen in Flaschen spendeten Licht in der Dunkelheit, und in den Nischen des Gewölbes standen demonstrativ mit Spinnweben verhangene Fässer. In Regalen hinter dem Tresen lagerten seltene Weine in Flaschen.
Kerry ging geradewegs zur Toilette. Ich blätterte in der Weinkarte, die so dick wie ein Roman war, und ging auf Nummer sicher: Ich orderte eine Flasche Moët, ließ mir einschenken und hob mein Glas zu einem stummen Toast. Damals wie heute beschränkte sich mein Aberglaube auf den kleinen Talisman in meiner Tasche, aber ich wurde den Gedanken nicht los, das Schicksal habe mir Kerry geschickt, als ich jemanden brauchte.
Kerry kam mit sauber gewaschenem Gesicht zurück. Anfang zwanzig, schätzte ich– oder am Ende des Teenageralters, aber nach einem harten Leben. Sie sah gut aus auf die Art, die früh ihren Höhepunkt erreicht.
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