Das Böse im Blut: Roman (German Edition)
Vereinigten Staaten den Rio Grande zur Südgrenze erklärt hatten, so wie es während der letzten zehn Jahre auch die Republik Texas schon getan hatte. Doch die Mexikaner sagten, die Vereinigten Staaten sollten verflucht sein. Sie beharrten darauf, dass die Grenze mehr als hundert Meilen nördlich am Rio Nueces liege. Präsident James Knox Polk hatte schon damit gerechnet, dass dies die Position der Mexikaner sein würde, und war wahrscheinlich froh, es zu erfahren. Jeder wusste, dass es Mr. Polks Ziel war, Amerikas Westgrenze bis zum westlichen Rand des Kontinents auszudehnen, und er daher darauf aus war, jeden Fuß mexikanischen Bodens zu erwerben, der zwischen Texas und dem Pazifik lag. Dabei war es eher nebensächlich, ob er dieses Land mit Dollars erkaufte oder es blutig durch einen Krieg in Besitz nahm. Sein Ehrgeiz wurde von der Mehrheit seiner Landsleute geteilt. In einem Leitartikel einer New Yorker Zeitschrift war erst vor Kurzem behauptet worden, es sei Amerikas »eindeutiges Schicksal«, seine göttlich sanktionierte Mission, die amerikanische Staatshoheit von einem schimmernden Meer zum anderen zu errichten. Im Sommer hatte Mr. Polk General Zachary Taylor mit beinahe viertausend aktiven Soldaten hinunter zur Mündung des Nueces bei Corpus Christi beordert, mehr als die Hälfte der US Army. Und jetzt war es Februar und sie waren immer noch dort. Aber überall ging das Gerücht, dass der alte Zack den Befehl bekommen habe, hinunter zum Rio Grande vorzurücken, und dass es jeden Tag so weit sein könne, dass er Richtung Süden marschierte.
»Und wir werden da sein, mit Ol’ Rough an Ready, wenn’s so weit is, bei Gott!« Dies wurde von einem betrunkenen Sergeant an einem Tisch voller Kameraden herausgebrüllt, die in der Nähe der Bar saßen. Sie waren die lautesten Gäste im Red Cat, brüsteten sich pausenlos mit den Prügeln, die sie den Mexikanern verpassen, dem Ruhm, den sie für sich selbst und das Land ernten würden, und die Ehre, die jeder von ihnen nach Hause tragen würde. Selbst durch den Nebel des Rums hindurch, der jetzt in seinem Kopf herumwirbelte, fielen John die häufigen funkelnden Seitenblicke auf, die Lucas zu den angeberischen Großmäulern hinüberwarf. Und jetzt bemerkte auch einer der Soldaten Malones harten Blick und sagte etwas zu einem vierschrötigen Kameraden an seiner Seite, der dann mit zusammengekniffenen Augen zu Lucas herübersah. Der Graubart sah beide abwechselnd an und spuckte dann verächtlich auf den Boden. In dem Moment merkte John, wie sehr er selber nach einer Rauferei lechzte. Als die beiden Soldaten sich erhoben und mit gewaltbereiter Miene auf sie zukamen, spürte er seine Lebensgeister zurückkehren.
»Sag mal, alter Mann«, hob der Größere an, »was denkst du eigentlich …«
Lucas’ Hieb ließ ihn rückwärts taumeln, sodass er gegen den Tisch seiner Kameraden krachte und ihn im Fallen umwarf.
John trat dem anderen Soldaten in die Eier, und als der Soldat sich mit den Händen zwischen den Beinen vorbeugte, rammte er ihm ein Knie ins Gesicht und spürte, wie die Nase des Mannes mit einem zufriedenstellenden Knirschen nachgab.
Jetzt stürmten die restlichen Soldaten auf sie zu, und einige Gäste flohen aus der Taverne auf die Straße und stimmten ein großes Geschrei an, während Lucas einen Hocker packte und ihn mit zwei Händen gegen den Kopf eines Soldaten schwang. Der Mann schlug wie ein Futtersack auf den Dielen auf, und John ging unter einem fauchenden Knäuel von fluchenden, schlagenden, tretenden Soldaten zu Boden. Dann ertönte das Schrillen einer Pfeife, während er spürte, wie sich seine Finger in die Augen eines schreienden Mannes gruben, und er Blut schmeckte von dem Ohr zwischen seinen Zähnen. Funken platzten in seinem Kopf und er sah und fühlte nichts mehr.
9 Er erwachte mit starken Schmerzen im Kiefer, der sich etwas verschoben anfühlte, doch da der Schmerz auszuhalten war, als er ihn bewegte, wusste er, dass er nicht gebrochen war. Seine Rippen taten ihm bei jedem Atemzug weh. Er saß an der Wand eines kleinen engen Raumes mit einem stinkenden, schlammigen Boden und einer schweren Tür, durch deren kleines vergittertes Fenster graues Zwielicht drang. Es war nicht das städtische Gefängnis, aber es war zweifellos eine Zelle, und der Mut verließ ihn, als ihm klar wurde, dass er ein weiteres Mal im Gefängnis war.
Ein Stöhnen kam aus den dunklen Schatten neben ihm. Die Mühe, den Kopf zu drehen, jagte ihm einen stechenden Schmerz
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