Das Böse in dir
verschlungenen schwarzen Linien verziert war. Nachdem sie ihn vor mich auf den Tisch gestellt hatte, gab sie ein wenig Puderzucker aus einem Metallstreuer mit Griff darauf und forderte mich auf, Stopp zu sagen, wenn es genug war. Ich tat es und sah dann zu, wie sie zwei weitere Teigtaschen ebenfalls zuckerte und sie in eine kleine weiße Bäckertüte legte. Black würde begeistert sein. Er isst leidenschaftlich gern Pfirsiche. Als nächstes förderte sie zwei winzige dunkelblau und golden gemusterte orientalische Tassen zutage und stellte sie mit Untertassen auf ein Messingtablett. Anschließend legte sie einen kleinen Teebeutel in jede Tasse und goss heißes Wasser hinein. Eigentlich trinke ich lieber Kaffee, insbesondere Cappuccino mit Vanillearoma. Doch ich wollte nicht unhöflich sein. Wenn Not am Mann war, brachte ich auch grünen Tee hinunter.
»Wohnt Ihre Mutter in der Gegend?«
»O nein, wir sind aus Kalifornien. Los Angeles. Ich vermisse sie wirklich. Bei uns finden immer große Familienfeiern mit der ganzen Verwandtschaft statt, doch ich habe meistens nicht die Zeit, dabei zu sein.«
»Sie sind weit weg von zu Hause. Warum sind Sie hierher gezogen?« Da redete genau die richtige. Schließlich war ich auch aus L.A. hierher gezogen. Genau genommen sogar gezwungenermaßen. Doch darüber wollte ich lieber nicht sprechen.
»Ich habe gehört, dass Branson ein sicheres Pflaster ist und dass man hier gut verdienen kann«, erwiderte Khur-Vay. »In L.A. gibt es Bauchtanzstudios wie Sand am Meer. Waren Sie schon mal dort?«
O ja, das war ich, was ich inzwischen bitterlich bereute. Mehr schlechte Erinnerungen, als mir lieb war. »Ich kenne es aus dem Fernsehen. Ich habe mir sogar O.J. Simpsons lahme Verfolgungsjagd angeschaut.«
Khur-Vay lächelte zwar, doch sie betrachtete mich ausgesprochen neugierig. »Ja, ich auch. Wenn ich Heimweh bekomme, sehe ich mir Filme an, die dort gedreht worden sind, was ja beinahe für alle gilt.« Stirnrunzelnd wechselte sie das Thema. »Ich mache mir wirklich Sorgen um Li. Sie war in letzter Zeit so bedrückt.«
Aha. So damenhaft wie möglich nippte ich an meinem Tee. »Wissen Sie, was sie belastet?«
»Ich bin nicht sicher. Bestimmt wegen Mikey. Sie haben oft Streit, aber dann versöhnen sie sich wieder, und alles ist gut. Sie lieben einander sehr.«
»Dann kennen Sie Mikey persönlich?«
»Ja, schon seit einer ganzen Weile. Ich habe die beiden in der Therapie kennengelernt.«
Meine Antenne vibrierte und richtete sich dann kerzengerade auf. »Therapie?«, wiederholte ich, nachdem ich einen Bissen Pfirsich-Teigtasche heruntergeschluckt hatte.
»Ja, da gibt es so eine Klinik in Jefferson City. Oak Haven. Wir waren damals in derselben Therapiegruppe. Kennen Sie die Einrichtung?«
Ich nickte und aß noch einen Bissen. Da es taktlos gewesen wäre nachzubohren, wartete ich ab, in der Hoffnung, dass sie mir etwas Hilfreiches verraten würde. Zu meinem Glück war es ihr nicht peinlich, dass sie in einer psychiatrischen Klinik Hilfe gesucht hatte.
»Ja, ich war einmal ganz unten. Mein Mann hat mich so richtig verarscht, mir mein Geld geklaut und mich mit Drogen in Kontakt gebracht. Aber inzwischen bin ich absolut clean«, fügte sie hinzu, denn immerhin war ich ja Polizistin. »Der Typ hat mich wirklich total fertiggemacht. Nach der Trennung hat er das Gericht überredet, ihm das alleinige Sorgerecht für meine kleine Tochter zu übertragen. Jedenfalls bin ich davon depressiv geworden und nur noch rumgehangen, bis Li mir von ihrem tollen Therapeuten erzählt hat. Also bin ich auch hingegangen.«
»Hätten Sie etwas dagegen, mir den Namen dieses Arztes zu sagen?«
»O nein. Ich lobe ihn in den Himmel, sobald sich die Gelegenheit ergibt. Es ist ein Dr. Collins. Vorname Boyce.«
»Ich verstehe.« Doch in Wirklichkeit dachte ich daran, dass man ihr das Kind weggenommen hatte. Ich wusste, wie es war, plötzlich ein Kind zu verlieren, und kannte die Verzweiflung und den Wunsch, einzuschlafen und nie mehr aufzuwachen. Ich fragte mich, ob sie ihr kleines Mädchen inzwischen zurückbekommen hatte. »Konnte er Ihnen helfen?«
»Ja, er hat mir klargemacht, dass mein Leben nicht vorbei ist und dass ich stark genug bin, mich ihm zu stellen.«
»Haben Sie Ihr Kind mittlerweile wieder?« Ich konnte mir die Frage nicht verkneifen.
Tränen traten ihr in die Augen. »Noch nicht, aber ich gebe nicht auf. Dr. Collins hat versprochen, mir zu helfen. Sie lebt bei ihrem Dad und seiner neuen Frau
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