Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Böse in dir

Titel: Das Böse in dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Ladd
Vom Netzwerk:
ich mich mit so viel Trauer erinnerte. Sie waren noch immer da, so als sei er weiterhin in diese Decke gewickelt. Zum ersten Mal seit Jahren spürte ich, wie Tränen hinter meinen Augenlidern brannten. Nach der Decke kamen die Fotos. Porträts, die ich bei Wal-Mart oder Penney’s hatte anfertigen lassen. In verschiedenen Lebensphasen, stets im Abstand von sechs Monaten, allerdings nur vier Stück, bevor er mir für immer weggenommen worden war. Ich holte den von McKay so haargenau beschriebenen Winnie-Puh-Rahmen heraus. Es schnürte mir die Kehle zu, und ich hörte, wie ein langgezogener, dumpfer Klagelaut in mir hochstieg.
    Als sich die Verbindungstür zum Haus plötzlich öffnete, und ich in einen Lichtstrahl getaucht wurde, bückte ich mich blitzartig, riss meine Waffe aus dem Halfter und richtete sie so schnell auf Black, dass dieser abwehrend die Hände ausstreckte. »Nein, nicht, Claire, ich bin es«, sagte er.
    Im nächsten Moment begann ich, am ganzen Leibe zu zittern. Ich ließ die .38er sinken, bis sie auf Beinhöhe baumelte. »Verschwinde, Black. Ich will allein sein.«
    Einige Sekunden herrschte Totenstille. »Okay«, meinte er dann.
    Ich sah zu, wie die Tür sich schloss und mich wieder die Dunkelheit umfing. So war es besser. Die Tränen brannten noch ein wenig, fielen aber nicht. Vor langer Zeit hatte ich gelernt, dass ich es nicht so weit kommen lassen durfte, wenn ich nicht daran zerbrechen wollte. Also drängte ich sie, um Beherrschung ringend, zurück.
    So stand ich da, schnappte nach Luft und wartete darauf, dass meine Fassung zurückkehrte. Allerdings hatte sich etwas verändert, etwas, das ich nicht verstand, aber verstehen musste. Daran führte kein Weg vorbei. Ich nahm die Kiste, klemmte sie unter den Arm und trug sie zur Tür. Black war in der Küche und machte Kaffee. Der aromatische Duft stieg mir in die Nase und ich hörte, wie das Wasser in die Glaskanne tropfte.
    Black drehte sich zu mir um und lehnte sich mit der Hüfte an die Arbeitsplatte. »Alles in Ordnung, Babe?«
    »Ja, tut mir leid, ich bin nur so schrecklich schreckhaft.«
    Er nickte bloß und wartete darauf, dass ich weitersprach. Das tat er immer in Situationen wie diesen, wenn ich mich den Geistern und Gespenstern meiner so völlig verbauten Vergangenheit stellte. Er mischte sich weder ein noch drängte er mir seine professionelle Meinung auf, geschweige denn eine Therapie, obwohl ich wusste, dass er genau das für nötig hielt. Ich war ihm dankbar dafür, dass er es nicht tat und mir die Entscheidungen, ganz gleich ob gut oder schlecht, selbst überließ.
    Endlich brach er das Schweigen, allerdings beiläufig, während er sich eine Tasse Kaffee einschenkte. »Also, was ist in der Kiste?«
    »Nichts.«
    Wir starrten einander an, beide wohl wissend, dass das eine dicke, fette, unglaubwürdige Lüge war. Ich ging zum hellbraunen Wildledersofa und setzte mich ans eine Ende. Die Kiste hielt ich auf dem Schoß und schloss beide Arme darum. Er nahm eine zweite Tasse aus dem Hängeschrank über der Spüle.
    »Da sind Zachs Sachen drin. Die einzigen, die ich behalten habe.«
    Black hielt beim Einschenken inne und stellte die Kaffeekanne zurück auf die Wärmeplatte. »Ich verstehe. Es tut weh, sich die Sachen eines Menschen anzuschauen, den man verloren hat.«
    Wäre ich nie drauf gekommen, dachte ich. »Ja«, antwortete ich jedoch nur. Meine Stimme klang nicht wie meine, sondern heiser und erstickt, eben wie die einer trauernden, emotional angeschlagenen Mutter. Weil mir das peinlich war, blickte ich zu Boden. Doch das war überflüssig. Black musterte mich nicht wie ein Forschungsobjekt, sondern schaute aus dem Fenster hinaus auf den See und trank dabei seinen Kaffee.
    »Ich wollte mich nicht in dein Privatleben einmischen. Das würde ich niemals tun«, meinte er.
    »Ich weiß.« Aber ich war froh, dass er das gesagt hatte und dass er es offenbar verstand. Als ob das jemand könnte, der nicht selbst ein Kind verloren hat.
    Ich drückte mir die Kiste noch immer vor die Brust und schwieg. Er auch. Dann brachte er mir meine Kaffeetasse, stellte sie vor mich auf den Tisch und setzte sich neben mich. »Möchtest du eine Weile allein sein? Du brauchst es nur zu sagen«, fragte er.
    Ich dachte darüber nach. »Ich glaube nicht«, erwiderte ich dann.
    »Ich kann wieder raufgehen, wenn es dann leichter für dich ist.«
    »Nein. Bleib hier.«
    Wortlos tranken wir unseren Kaffee und schmunzelten ein wenig, als Jules auf der Treppe erschien.

Weitere Kostenlose Bücher