Das Böse in dir
Zwischenstopp bei Harve ein und traf ihn in seinem Büro an. Bei meinem Anblick winkte und lächelte er zwar, wandte sich aber wieder seiner Telefonkonferenz zu. Nachdem er jemanden am anderen Ende der Leitung um einen Moment Geduld gebeten hatte, hielt er die Hand übers Telefon. »Hallo, Claire, schön, dich zu sehen. Tut mir leid, aber ich habe gerade Kunden von der Ostküste an der Strippe.«
»Hallo, Harve. Ich will dich ja nicht beim Telefonieren stören, aber erinnerst du dich noch an die Kiste, die ich bei dir gelassen habe, als ich hier eingezogen bin? Die bräuchte ich.«
»Na klar, hol sie dir einfach. Sie steht im Gästezimmer im Wandschrank, im obersten Regal, glaube ich. Willst du nicht vielleicht zum Abendessen bleiben? Ich müsste in zwanzig Minuten fertig sein.«
»Nein, heute nicht. Telefonier nur in Ruhe zu Ende. Außerdem wartet Black zu Hause auf mich.«
»Wie du meinst.«
»Dann verschieben wir es. Bis bald, Harve.«
Harves Gästezimmer war geräumig und hellblau gestrichen. Die Holzvertäfelungen waren weiß. Ansonsten wimmelte es von roten und weißen Farbtupfern. In einer Vitrine über der Kommode war eine in Dreiecksform gefaltete amerikanische Flagge ausgestellt. Sie hatte auf dem Sarg seines Vaters gelegen, der als Polizist in L.A. im Dienst niedergeschossen worden war. Sein Vater war ebenso ein Held gewesen wie Harve.
Ich streckte den Arm aus, griff nach der kleinen roten Kiste und versuchte, nicht an den Inhalt zu denken. Sie war nicht schwer. Ich trug sie nach draußen zum Explorer, klappte den Kofferraum auf und legte sie hinein. Öffnen würde ich sie erst später. Wenn überhaupt.
Mein Haus stand einige Minuten weiter die Straße hinauf. Ich freute mich sehr, dass Blacks Cobalt 360 neben meinem kleinen Steg im Wasser tanzte. Er selbst war jedoch nirgendwo zu sehen. Ich fuhr in die Garage und merkte auf, als nicht sofort das schrille, fröhliche Willkommensgekläff meines kleinen Pudels Jules Verne ertönte.
»Hey, Claire! Hier unten bin ich!«
Blacks Stimme kam aus dem Wasser. Ich entdeckte seinen Kopf etwa zwanzig Meter vom Ufer entfernt draußen auf dem See. Der kleine Kopf von Jules Verne schwamm dicht neben ihm. Der Anblick brachte mich zum Lachen, was genau das war, was ich jetzt brauchte. Also marschierte ich zum Ende meines wackeligen kleinen Bootsstegs.
Als Black näher heranschwamm, paddelte Jules wie ein Wilder hinter ihm her. Zum Glück gab es hier einen kleinen Strand, wo der Hund ohne Hilfe wieder an Land gehen konnte, doch normalerweise hob Black ihn auf den Steg. Was soll ich sagen? Der Mann liebte diesen Hund eben.
»Komm rein, das Wasser ist klasse!«, rief Black mir zu.
Ich überlegte lächelnd. Black sah mit seinem zurückgestrichenen nassen schwarzen Haar und den herausfordernd funkelnden blauen Augen einfach hinreißend aus. Der Abend dämmerte. Es wurde langsam dunkel, das Wasser war ruhig, und es war kein Boot in Sicht. Um diese Uhrzeit würde vermutlich auch keines mehr kommen. Nach kurzem Zögern kam ich zu dem Schluss, dass ich gefahrlos die Waffen ablegen konnte. Obwohl ich wegen meiner jüngsten Beinahe-Begegnungen mit Gevatter Tod ein wenig Bedenken hatte, nahm ich das Schulterhalfter ab, wickelte die Riemen darum und deponierte es an den Rand des Bootsstegs, wo ich es im Notfall rasch erreichen konnte. Dann tat ich das gleiche mit der .38er, die ich um den Knöchel trug, schnürte die Basketballstiefel auf und zog sie aus.
»Komm schon, trödle nicht rum!«, rief Black.
Ich sprang voll bekleidet in den See und tauchte zu Black hinüber, der Wasser trat. »So lob ich mir das Leben«, meinte er, als ich dicht vor seiner Brust auftauchte.
»Das Wasser ist toll.«
»Du auch.« Seine Lippen streiften meinen Hals, während sich seine Hände am Reißverschluss meiner Jeans zu schaffen machten.
»Hey, für diese Levi’s habe ich achtzehn Dollar im Sonderangebot bezahlt. Die landet mir nicht auf dem Grund des Sees.«
Nachdem er mir die Jeans mit einigen Mühen ausgezogen hatte, warf er sie auf den Steg und tat dann, ein wenig schneller, das gleiche mit meinem T-Shirt. Es landete mit einem Platschen auf dem Steg, unsere Körper trafen sich. Dann unsere Lippen, und alle Gedanken an Zach waren schlagartig wie weggeblasen. Ich dachte nur noch an Black, an das, was wir miteinander machten, und daran, wie gut es sich im kühlen Wasser anfühlte, während die Grillen zirpten, hinter uns am Nachthimmel der Mond aufging, und wir beide endlich einmal
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