Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Böse in dir

Titel: Das Böse in dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Ladd
Vom Netzwerk:
Der Hund wirkte schlaftrunken und ein wenig verstört, weil wir ihn ganz allein im Bett zurückgelassen hatten. Als er Black auf den Schoß sprang, streichelte dieser sein weiches weißes Fell.
    Und dann sprach ich etwas aus, von dem ich nie gedacht hätte, dass es mir je über die Lippen kommen würde. »Möchtest du ein Foto von Zachary sehen? Mein Sohn«, fügte ich überflüssigerweise hinzu.
    »Sehr gerne. Ja.«
    Ich öffnete wieder den Deckel, holte die Decke heraus und drückte sie mir schutzsuchend vor die Brust. Dann suchte ich das letzte Foto von Zach heraus. Es war das in dem kleinen weißen Rahmen, der am Rand mit Bildern von Winnie-Puh verziert war. Der, den McKay vor seinem geistigen Auge gesehen hatte. Zach hatte Winnie-Puh regelrecht angebetet.
    Black nahm ihn, und nun war ich es, die auf den mondbeschienenen See hinausblickte.
    »Er ist ein hübscher Junge«, meinte Black. »Er sieht aus wie du.«
    »Ja.« Black hatte im Präsens gesprochen, nicht in der Vergangenheitsform, und das bedeutete mir aus irgendeinem Grund sehr viel. Ich weiß, wie albern das ist, aber so war es nun einmal.
    Mit einem Seufzer wurde mir klar, dass ich ihm erzählen wollte, was sich in meinem Kopf abspielte. Vielleicht war ja genau das mein Problem. Der Grund, warum ich Zachs Tod inzwischen immer wieder so intensiv und schmerzlich durchlebte wie an dem Tag, als es geschehen war. Weshalb konnte ich nicht aufhören, an ihn zu denken? Was war nur los mit mir?
    Ich holte tief Luft und atmete wieder aus. Black wartete ab.
    »In letzter Zeit denke ich ständig nur noch an Zach. Wirklich, Black. Früher konnte ich solche Dinge wegdrücken und sie in eine geistige Schublade ganz tief in mir einsperren. Doch das klappt nicht mehr. Sobald ich die Augen zumache, träume ich von ihm. Ich frage mich, wie er jetzt wohl aussehen würde, wie es gewesen wäre, wenn er die Milchzähne verloren hätte, ob er wohl gern in den Kindergarten gegangen und wie groß er jetzt wäre. Ich stelle mir vor, dass ich ihm das Schwimmen beibringe und wie man einen Baseballschläger schwingt und ein guter Verlierer ist. An all diese Dinge denke ich, immer, den ganzen Tag, jeden Tag. Wenn das so weitergeht, drehe ich noch durch.«
    Black legte die Hand auf meine. »Vielleicht ist der Grund ja, dass du jetzt bereit bist. Bereit zu akzeptieren, was ihm zugestoßen ist. Es könnte eine positive Entwicklung sein. Ein Zeichen dafür, dass deine Wunden endlich heilen.«
    »Es ist keine positive Entwicklung.« Aufgebracht sprang ich hoch und lief im Zimmer hin und her. »Es kann nicht positiv sein, wenn es mich verrückt macht. Ich habe keinen Einfluss mehr auf das, was ich denke. Ständig steigen wellenförmige Bilder von ihm in mir hoch. Immer wieder, Tag und Nacht. Etwas ist mit meinem Verstand nicht in Ordnung. Ich kann kaum noch klar denken. Ich kann mich nicht mehr auf meinen Fall konzentrieren. So darf es nicht weitergehen.«
    »Mit dir ist alles in Ordnung, Claire. Du bist die stärkste Frau, der ich je begegnet bin, und das weißt du. Außerdem weißt du, dass du dein ganzes Leben lang mit schrecklichen Dingen konfrontiert worden bist. Doch nichts konnte dich brechen. Du stehst immer wieder auf. Du machst deine Arbeit. Allerdings ist der Tod eines Kindes eine der schwersten Prüfungen, die das Leben einem auferlegen kann. Manche Menschen können so eine Tragödie niemals akzeptieren und kommen nicht darüber hinweg. Andere schaffen es, wenn sie sich die nötige Zeit lassen. Ich halte es für ein gutes Zeichen. Ein Zeichen dafür, dass du bereit bist, dich nicht mehr davor zu verstecken und dich damit auseinanderzusetzen.«
    Ich sah ihn an. »Ich bin nicht bereit, mich damit auseinanderzusetzen. Ich will nicht. Ich ertrage es nicht, dass es nach all den Jahren wieder über mich herfällt. Erklär mir den Grund, Black. Warum jetzt? Warum habe ich plötzlich eine Schraube locker?«
    »Erstens hast du keine Schraube locker.« Er zögerte. »Ich weiß nicht, warum das Problem ausgerechnet jetzt auftritt, aber wir können darüber reden, wenn du möchtest. Lass alles raus und unterdrück es nicht länger. Oft sehen die Dinge dann gleich viel rosiger aus.«
    Ich wandte mich ab, stand am Fenster und schaute hinaus aufs Wasser. Sonst wirkte das auf mich immer beruhigend, sodass ich mich wieder normal fühlte. Aber nicht heute Nacht. Es war, als tobte ein Sturm in meiner Brust, der sich einen Weg durch meine inneren Organe und Nervenenden bahnte. Ich war noch nicht

Weitere Kostenlose Bücher