Das Böse in dir
von der Mordkommission verabschiedete, Streifenpolizistin wurde und Verkehrsrowdys Strafzettel aufbrummte? Aber ich wusste, dass ich das nicht lange aushalten würde. Die Jagd lag mir nun einmal im Blut. Mörder aufzuspüren, war mein Leben, und es bereitete mir Genugtuung, sie hinter Gitter zu bringen, wenn sie nicht zuvor die Radieschen von unten betrachteten.
Bud und ich machten wortlos Platz, als sich die Spurensicherungsexperten einer nach dem anderen zu uns gesellten. Wir sahen zu, wie Vicky, die Polizeifotografin, schnell und tüchtig wie immer, aus allen Winkeln ihre Pflicht tat. Dabei wurde kaum gesprochen. Möglicherweise hatten wir es ja langsam satt, tote Menschen zu bergen und ihre Einzelteile zu beschriften. Auch wenn wir es hier nicht mit Mord, sondern mit Selbstmord zu tun hatten, ging es uns nah, wie jung das Opfer noch war.
Nachdem der Tote vom Seil abgeschnitten auf dem Boden lag, durchsuchte Buckeye seine konservative Kleidung und entdeckte in der vorderen Hosentasche einen gültigen Führerschein und einen kleinen Schlüsselring mit drei Schlüsseln, zwei davon ordentlich mit weißem Klebeband versehen und beschriftet: Auto und Eingangstür. Der dritte trug keine Aufschrift. Außerdem waren weder Brieftasche noch Abschiedsbrief oder Geld vorhanden, nichts, nur leere Taschen, Führerschein und Schlüssel. Das einzig Seltsame waren die Armbänder. Sie bestanden aus blauen und weißen Glasperlen, einige mit einem schwarzen Punkt in der Mitte, der fast wie ein Auge aussah. Die Perlen waren auf Gummibänder gefädelt, die man sich über die Hände streifte. Ich zählte insgesamt sechsundzwanzig, dreizehn an jedem Arm. Die Zahl konnte kein Zufall sein.
Buck überprüfte den Führerschein und hielt ihn mit zwei behandschuhten Fingern hoch. »Der Mann heißt Michael Murphy. Zweiundzwanzig Jahre alt. Das Foto passt. Die persönlichen Daten auch.«
»Also hatte Black recht«, merkte ich an.
»Das Telefon ist nagelneu«, fuhr Buck fort. »Keine eingehenden oder ausgehenden Anrufe. Es ist ein Kartentelefon. Mal schauen, ob wir Fingerabdrücke finden.«
»Gut.«
»Warum hat der Junge wohl keinen Abschiedsbrief hinterlassen?«, fragte Bud.
»Vielleicht hat er nicht damit gerechnet, dass ihn jemand findet. Das könnte der Grund gewesen sein, warum er hierher unter die Brücke gekommen ist. Möglicherweise liegt der Brief ja bei ihm zu Hause.«
»Wer hat ihn denn gefunden?«, erkundigte ich mich bei Connie O’Hara.
»Einige Jugendliche, die dort drüben auf dem Spielfeld Basketball gespielt haben.« Sie wies auf einen kleinen Park rechts von uns. Das Basketballfeld war von einem vier Meter hohen Zaun umgeben. »Sie haben den Ball hin und her gespielt, bis er durch eine Lücke im Zaun geflogen und hier runtergerollt ist. Als einer der Jungen im Gebüsch auf dem Abhang danach gesucht hat, hat er das Opfer da oben hängen sehen. Natürlich haben sie einen Heidenschreck gekriegt. Also sind sie zum Applebee’s gleich am Ende der Straße gerannt, wo eine ihrer Mütter arbeitet. Die hat dann die Polizei angerufen.«
»Okay, Buck, dann gib uns Bescheid, wenn du fertig bist. Bud und ich müssen uns bei dem Jungen zu Hause umschauen. Hoffentlich gibt es dort einen Abschiedsbrief.«
Ich hörte, wie unter mir das Cobalt ansprang, winkte Black zu und blickte ihm nach, als er das Boot vom Ufer weg rangierte und in Richtung Cedar Bend Lodge davonbrauste. Dann machte ich kehrt und folgte Bud den Hügel hinauf zu seinem Bronco. Ich freute mich nicht sehr darauf, den Eltern des Jungen mitteilen zu müssen, was ihr Sohn an diesem wunderschönen Sommertag getan hatte.
Wie sich herausstellte, betrieb Michael Murphy, Sohn des großen Machers im Kapitol, eine Pizzeria namens Mikey’s Place in Osage Beach am Highway 54. Das Lokal befand sich in einer Ladenzeile namens Stonecrest Shopping Center, und wir nahmen an, dass er in der Wohnung darüber lebte. Bud stoppte den Wagen direkt vor dem Eingang der Pizzeria. Ein paar Türen weiter befand sich der Stonecrest Book and Toy Store. Ich kannte ein paar der Verkäuferinnen, weil ich Geschenke für Bud und Black dort gekauft hatte. Wir würden mit ihnen sprechen und sie fragen müssen, was sie über Mikey Murphy wussten. In der Mitte des Parkplatzes stand eine Starbucks-Filiale, die in uns beiden Gelüste nach Milchkaffee und Zimtbrötchen auslöste. Doch wir beschlossen, uns das zu verkneifen, bis wir die Todesnachricht losgeworden waren. Das einzige Problem war, dass wir
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