Das Böse in dir
knallte die Tür zu und drehte den Schalter um. Dann eilten wir beide nach draußen, nur weg von dem Gestank und dem grausigen Anblick, mit zitternden Händen und von Übelkeit ergriffen. An der frischen Luft angekommen, beugte ich mich vor, stützte die Hände auf die Knie und holte tief Luft, um den Brechreiz zu unterdrücken, der das Cherry Pepsi in meinem Magen hin und her schwappen ließ. Oh, Gott, ich würde mich gleich übergeben müssen. Eigentlich war ich widerwärtige Anblicke am Tatort ja gewöhnt, doch das hier war der Gipfel des Grauens. Unfassbar. Bud ging ein paar Schritte, blieb zehn Meter entfernt von mir stehen, fuhr sich mit den Händen übers Gesicht und räusperte sich immer wieder. Dann kehrte er zu mir zurück und lief auf und ab, als helfe ihm die Bewegung, den grausigen Fund besser zu verarbeiten. Er schüttelte den Kopf und stemmte die Hände in die Hüften. »Wer, glaubst du, ist das da drin?«
Als ich mit den Fingern die Lippen rieb, hatte ich fast noch den Geruch der gebratenen Frau auf der Zunge. Ich schluckte und rang um Beherrschung, was mir zunehmend schwer fiel. »Keine Ahnung«, erwiderte ich schließlich. »Wie kann man das einem anderen Menschen antun? Ihn in den Ofen stecken und rösten? Mein Gott, wer macht so etwas?«
»Irgendein krankes Psychoschwein vermutlich«, antwortete Bud. »Ich rufe Buck an. Er muss herkommen und sie rausholen. Ich ertrage die Vorstellung nicht, dass sie da langsam gegrillt wird.«
Da wir nun wussten, woher der Geruch kam, war er nicht mehr auszuhalten. Wir wichen von der Tür zurück, und ich wartete, während Bud das Flatterband aus dem Bronco holte. Wir spannten es vor die Tür, ohne ein Wort zu wechseln. Keine zehn Pferde hätten uns dazu gebracht, das Lokal wieder zu betreten.
»Wir sollten uns die Wohnung anschauen«, meinte ich schließlich. »Vielleicht ist dort noch jemand, ein anderes Opfer. Oder jemand, der noch lebt.«
Bud warf mir einen Blick zu, als hätte ich vorgeschlagen, reinzugehen und eine Pizza zu bestellen. Er wollte die Leiche nicht mehr sehen. Und ich ganz bestimmt auch nicht. Wahrscheinlich würde ich außerdem niemals wieder in einem Restaurant essen wollen, jedenfalls nicht in einer Pizzeria. Aber wir mussten die Wohnung im ersten Stock unter die Lupe nehmen. Und nur der Himmel wusste, was uns dort erwartete.
Mein Name ist Trouble
Seine Eltern brauchten eine Ewigkeit, um Lylas Tod zu verkraften. Viel zu lange, wie der Junge sich ärgerlich sagte. Mein Gott, was sollte denn das ganze Geheule, Gejammer und Getrauere, als wollten sie gar nicht mehr damit aufhören? Er versuchte, seine Eltern von Lylas Tod abzulenken, indem er wie ein Wilder Medaillen und Pokale sammelte, aber nein, nichts da. Immer hieß es nur, die arme Lyla. Die arme Lyla, die so jung gestorben war, arme Lyla, arme Lyla, arme Lyla. Er hätte kotzen können.
Die Zeit verging, genauer genommen, sie schleppte sich dahin, und irgendwann bekam seine Mom wieder ein Baby, ein kleines Mädchen, das sie Destiny nannten. Schicksal. Er fand diesen dämlichen Namen ziemlich übertrieben, aber, meinetwegen, sie glaubten eben wirklich, der liebe Gott hätte ihnen eine neue kleine Tochter geschenkt, als Entschuldigung, weil er ihnen Lyla genommen hatte. Seine Eltern waren manchmal echt naiv.
Hin und wieder fragte er sich ernsthaft, woher er seinen Verstand hatte. Seine Eltern waren beide dumm wie Bohnenstroh. Mein Gott, er kam bei ihnen mit allem durch, sogar mit dem Mord an seiner Schwester. Nicht, dass er die Sache zwingend als Mord betrachtete; sie hatte eben jung sterben müssen, mehr war nicht dabei. Es gab keinen richtigen Grund, Pech halt. Vorsehung. Er war nur das Werkzeug gewesen. Manchmal geschahen nun einmal unerklärliche Dinge. Dennoch war er viel klüger als der Rest seiner Familie. Außerdem war es so leicht, sie auszutricksen. Schließlich vergötterten sie ihn ja, und zwar aus gutem Grund.
Im nächsten Sommer dann beschloss sein Dad, mit der ganzen Familie den Urlaub in Arizona zu verbringen. Leider hatten sie den Pool nach Lylas Tod mit Erde zugeschüttet und nie wieder ein Familiengrillfest im Garten veranstaltet. Er fand das ein wenig übertrieben, aber was sollte er tun? Schließlich war er noch minderjährig und musste sich von ihnen herumkommandieren lassen. Die Fahrt nach Westen verlief ziemlich ereignislos und langweilig. Sie hatten den großen Dodge-Kombi seiner Mom genommen, damit alle Kinder sich anschnallen konnten. Inzwischen war sie,
Weitere Kostenlose Bücher