Das Böse in dir
war, das ich am liebsten mag.
Und, siehe da, es saß wirklich eine Frau allein an der Theke aus beigem Marmor vor einer verspiegelten Wand. Am Ende eines angrenzenden breiten Flurs mit Parkettboden konnte ich eine ebenso riesige mit Chrom und schwarzen Flächen ausgestattete Küche erkennen. Die Böden bestanden alle aus einem auf Hochglanz polierten Holz, das beinahe schwarz wirkte. Allein schon wegen der Raumhöhe hätte es mich nicht gewundert, wenn der Basketballer Shaq mit seinen zweisechzehn und seiner Mannschaft hier lebte.
Wir drei verharrten, noch immer schweigend, auf der Schwelle. Murphy sah mich an wie ein hilfloses Kleinkind, das sich verlaufen hat, was seinen derzeitigen Zustand recht gut beschrieb. Offenbar hatte es ihm die Sprache verschlagen. Da Bud mich ebenfalls betrachtete, war das anscheinend mein Stichwort, den Stein ins Rollen zu bringen. »Mrs Murphy?«, begann ich.
Die Frau fuhr herum und warf uns einen übertrieben erschrockenen Blick zu. Sie war mittleren Alters, zwischen Ende dreißig und Anfang vierzig, schlank, sonnengebräunt und hübsch und mit einer schwarzweiß gestreiften Caprihose und einer makellos sauberen weißen ärmellosen Bluse bekleidet. Ich bin zwar keine Spezialistin für teure Mode, doch meiner Ansicht nach handelte es sich bei dem Stoff um hochwertiges Leinen. Sofort stand sie auf und kam uns entgegen. Ihre Bewegungen waren anmutig. Sie hatte aschblondes, vom Fachmann coloriertes Haar mit Strähnchen. Vermutlich überlegte sie schon, wie sie ihrem Mann am besten die Hölle heißmachen sollte, weil er unangemeldete Besucher anschleppte, überdies in Jeans und T-Shirt.
»Entschuldige, Joseph, ich habe dich nicht kommen gehört.« Sie musterte mich und Bud eingehend und mit unverhohlener Neugier. Dann wandte sie sich mit leicht fragender Miene wieder an ihren Mann. »Schatz, du bist ja schon so früh zu Hause. Ist etwas passiert?«
Kurz starrte Joseph Murphy sie entgeistert an. Dann brach er in Tränen aus. Seine Frau merkte schlagartig auf.
Sie eilte auf ihn zu und legte ihm die Hand auf den Arm. »Was ist? Sag es mir. Bist du krank?«
Joseph packte sie an den Oberarmen, schob sie ein Stück weg und schaute ihr ins erschrockene Gesicht. Dann verlor er vollends die Fassung und lehnte schluchzend den Kopf an ihre Schulter. Verdattert und hilfesuchend sah sie uns an. »Was ist los, Joseph?«, wiederholte sie dabei unablässig. »Was ist los? Was ist passiert?«
Obwohl ich eigentlich keine große Lust hatte, ihr die Hiobsbotschaft zu überbringen, sagte ich schließlich mein Sprüchlein auf. »Ich fürchte, wir haben sehr schlechte Nachrichten, Mrs Murphy. Ich denke, Sie sollten sich setzen.«
»O mein Gott, was ist denn? Ist einem der Kinder etwas zugestoßen?«
Ich nickte. »Leider ja, Ma’am«, erwiderte ich sanft. »Bitte setzen Sie sich aufs Sofa. Dann erzähle ich Ihnen, was geschehen ist.«
Die sichtlich verängstigte Mary Fern Murphy führte Joseph zu einem der langen weißen Sofas, und die beiden ließen sich, dicht nebeneinander, darauf nieder. Allerdings war sie nun mit ihrer Geduld am Ende und wollte alles hören. »Also gut, das dauert jetzt schon lange genug. Ich möchte genau wissen, weshalb mein Mann derart außer sich ist. Bitte sagen Sie es mir, und zwar sofort.«
Und so schenkte ich ihr reinen Wein ein. »Ihr Sohn wurde gestern Abend tot in Lake of the Ozarks gefunden. Nach derzeitigem Erkenntnisstand hat er sich unter der Grand Glaize Bridge aufgehängt. Es tut mir sehr leid, Mrs Murphy.«
Ihre Augen weiteten sich. Sie blinzelte, schloss sie dann kurz, riss sie dann wieder auf und starrte mich an. Inzwischen achtete sie nicht mehr auf ihren Mann, der sich laut schluchzend an ihre Schulter lehnte. Im nächsten Moment schien sie sich zu beruhigen, denn ein gelassener Ausdruck malte sich auf ihrem Gesicht. »Welcher Sohn?«, fragte sie.
Aus irgendeinem Grund wunderte mich das, doch die Antwort blieb mir erspart, denn ihr Mann ergriff endlich das Wort. »Es ist Mikey, o Gott, Mary Fern, er hat es schließlich doch getan. Er hat sich umgebracht«, stieß er mühsam hervor.
Bud und ich sahen zu, wie ihr Gesicht die Farbe von kalter Asche annahm, so als sei ihr das Blut mit einem Schlag in die Füße gesackt. Aber sie weinte nicht und tätschelte ihrem Mann stattdessen tröstend den Rücken. Doch ihre Augen, ein sehr ungewöhnliches, strahlendes Grün, das vermutlich von Designer-Kontaktlinsen stammte, blieben auf mich gerichtet. »War er
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