Das Böse in dir
allein?«
Nun, das war eine wirklich unerwartete, ja, sogar eigenartige Frage. Ich merkte Buds Miene an, dass er das genauso empfand.
»Ja, Ma’am, soweit wir wissen.«
Für einen Sekundenbruchteil huschte etwas über Mary Fern Murphys Gesicht, das ich nur als abgrundtiefe Erleichterung beschreiben kann. »Ich hatte schon befürchtet, er hätte sich mit einer Freundin zum Selbstmord verabredet«, erklärte sie. »Das hat er schon früher versucht. Einmal, soweit wir wissen.«
»Er hat es schon einmal versucht?«, wiederholte Bud.
»Richtig. Damals zusammen mit seiner Freundin.«
Ach, herrje. »Mrs Murphy, wir müssen Sie dringend befragen«, antwortete ich. »Fühlen Sie sich heute dazu in der Lage? Sie müssen uns etwas über die früheren Selbstmordversuche erzählen. Und es gibt noch einige andere Punkte, die wir in Erfahrung bringen müssen, um weiter ermitteln zu können.«
Mary Fern hatte noch immer keine einzige Träne vergossen. Wahrscheinlich weinte ihr Mann genug für alle beide. »Ich wäre gern einen Moment allein mit meinem Mann, bevor wir uns mit Ihnen zusammensetzen«, entgegnete sie höflich. »Wäre das gestattet?«
Gestattet? Das klang eher wie aus dem Munde eines Verdächtigen. »Natürlich, Ma’am. Lassen Sie sich so viel Zeit, wie Sie brauchen.«
»Vielen Dank. Warum gehen Sie beide nicht in die Küche und warten dort auf uns? Nehmen Sie sich etwas zu trinken, wenn Sie möchten. Im Kühlschrank sind Limonade und Cola, und unter der Glasglocke auf dem Küchenblock stehen Kekse. Hier, den Flur entlang.« Noch immer trockenen Auges und ruhig, zeigte sie in die entsprechende Richtung.
Offenbar hatte Mary Fern die Rolle der Gastgeberin so verinnerlicht, dass sie sie selbst dann durchhielt, wenn sie unter Schock stand oder ein totes Kind betrauerte. Wir verdrückten uns in die große, helle, geräumige Küche, ganz in Schwarzweiß gehalten und mit einem Herd, um den Paula Deen die Murphys beneidet hätte. Rechts von uns war durch eine lange unterteilte Fensterfläche ein nierenförmiger Swimmingpool mit einem falschen Wasserfall aus Stein, zahlreichen Pflanzen und einigen als Felsenteiche getarnten Whirlpools zu erkennen. Etwa sechs oder acht Kinder unterschiedlichen Alters tobten darin herum oder sonnten sich. Vermutlich der restliche Nachwuchs der Murphys.
Bud senkte die Stimme. »Hat sie es wirklich so tapfer aufgenommen, oder bilde ich mir das nur ein?«
»Ganz deiner Ansicht.«
»Ob sie eine stählerne Magnolie ist, wie wir sie unten im Süden haben?«
»Wie im Film?«
»Ja. Ich wette, sie führt hier das Regiment wie Schwester Ratched in Einer flog über das Kuckucksnest.«
»Wahrscheinlich ist sie Schwester Ratched.« Ich beschloss, ein wenig großzügiger zu sein. »Oder sie steht einfach unter Schock und braucht Zeit allein mit ihrem Mann, um ihn zu trösten.«
»Das hat er dringend nötig.« Bud sah sich in der noblen Küche um. »Was hältst du von einer Pepsi? Ich kann es kaum erwarten, diesen doppeltürigen Eisschrank aufzumachen. In dieser Größe kenne ich sie nur aus Restaurants.«
Ja, Bud bezeichnet diese Geräte noch immer als Eisschrank. Genau wie meine Tante Helen. Allerdings rief seine Bemerkung einige grausige Erinnerungen an Mikeys Küche des Schreckens wach. Ich folgte ihm über die glänzenden schwarzweißen Fliesen zum Monsterkühlschrank, wo er beide Türen öffnete, zwei Dosen Pepsi herausnahm und mir eine reichte.
Ich riss die Dose auf und schaute durch das Fenster hinaus zum Pool. Er lag inmitten einer ebenfalls makellos gepflegten Rasenfläche und wurde von zahlreichen gepolsterten Gartenstühlen und Sonnenliegen umringt. Am anderen Ende stand ein Poolhaus mit rotweiß gestreiften Markisen. Die Kinder hatten da draußen eine Menge Spaß und schienen sich auch gut zu verstehen. Wie hatte Mikey Murphy hier hineingepasst? Was zum Teufel stimmte nicht mit seiner Mom? Ich hatte den Verdacht, dass wir es nicht mit der Bilderbuchfamilie von Bill Cosby, alias Huxtable, zu tun hatten.
»Okay, Officers, könnten Sie bitte wieder hereinkommen? Wir wären jetzt bereit, Ihre Fragen zu beantworten. Bringen Sie Ihre Getränke ruhig mit.«
Mom war zurück. Kühl und gelassen. Trockenen Auges. Respekt. Sie hatte nur ganze zehn Minuten gebraucht, um sich von dem Schrecken zu erholen. Irgendetwas stimmte da nicht, darauf wäre ich jede Wette eingegangen.
Die beschlagenen Pepsidosen in der Hand, folgten wir ihr zurück ins Wohnzimmer, wo sich ihr Mann während unserer
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