Das Boese in uns
seiner Sache sicher. Er tut, was seine Bestimmung war, und er geht des Nachts nicht zu Bett und fragt sich, ob er auf der richtigen oder falschen Seite steht. Er ist gelassen, gefasst, zufrieden. Seine Stimme klingt beinahe freundlich.
»Ich habe erfahren, dass die Gesetzesbeamten, die mir auf der Spur sind, endlich herausgefunden haben, wer ich bin. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr mich das freut. Meine Schwester und ich haben zwanzig Jahre lang auf diesen Moment hingearbeitet. Zwanzig Jahre des Versteckens, des Planens, der Opfer und Entbehrungen.
Viele werden fragen: Warum? Wenn ihr etwas zu sagen hattet, warum habt ihr es nicht einfach gesagt? Ich denke, die Antwort auf diese Frage ist offensichtlich. Sehen Sie sich um. Sehen Sie, was aus der Gesellschaft heute geworden ist. Wir leben in einer Welt, in der die Vorstellung der menschlichen Seele mehr und mehr verhöhnt wird, falls man überhaupt daran denkt. Die Menschheit genießt in vollen Zügen das Fleisch, und das Fleisch glaubt nur an das, was es sehen kann.
Sprich zum Fleisch über Wahrhaftigkeit, und es rümpft die Nase und fragt: >Wahrhaftigkeit? Was für eine Wahrhaftigkeit? Ich sehe keine Wahrhaftigkeit. Ich sehe Sex. Ich sehe Drogen. Ich sehe Sensationen.<
Mir war klar, dass wir den Menschen Beweise präsentieren mussten, wenn wir unseren Standpunkt darlegen und sie zu Gott zurückbringen wollten. Sie mussten es mit eigenen Augen sehen. Mit eigenen Ohren hören. Erst dann würden sie begreifen.
Und es funktioniert, gepriesen sei Gott! Die Wirkung unseres Werkes ist bereits spürbar. Überall auf der Welt sind Diskussionen entflammt.« Er nimmt ein Blatt Papier vom Tisch auf und liest:
»>Der Prediger hat mir die Augen wieder geöffnet für die Hoffnung, die Ferne zwischen mir und Gott zu beseitigen, eine Ferne, die ich selbst geschaffen habe mit all den Lügen, von denen ich nicht lassen wollte. Ich habe auf das gehört, was er zu sagen hatte, bin in meine Kirche gegangen und habe seit zehn Jahren zum ersten Mal wieder gebeichtet<.«
»Widerlich!«, sagt Callie und schürzt verächtlich die Lippen. »Hast du auch gebeichtet, dass du der gleichen Meinung bist wie ein Mörder?«
Unbehagen regt sich in mir. Auch mich hat der Prediger in den Beichtstuhl getrieben.
Ich mache es wieder gut, indem ich ihn schnappe.
»Das ist nur eine von vielen Reaktionen auf unser Werk. Natürlich stimmen mir längst nicht alle zu, doch der Punkt ist - sie reden darüber. Sie reden über Themen wie Wahrheit, Lüge, Sünde, Gott, Beichte und Erlösung. Die Flamme ist wieder entzündet, Lob sei dem Herrn. Versuche, meine Botschaft nicht nach außen dringen zu lassen, sind in der heutigen Welt hoffnungslos. Kopien von diesem und sämtlichen vorhergehenden Videos sind längst auf CD gebrannt und weltweit an Medien und Autoren, an Gläubige und Skeptiker versandt worden. Die Verbreitung der Botschaft mag verlangsamt werden können - aufhalten kann man sie nicht.«
»Da hat er leider recht«, sagt James.
»Ich bin überzeugt, dass meine Schwester und ich bald verhaftet werden.«
»Auch damit hat er recht«, sage ich.
»Wir sind froh darüber. Es ist der nächste Schritt auf dem Weg, den wir eingeschlagen haben. Es ist an der Zeit, dass wir persönlich predigen, dass wir für Diskussionen zur Verfugung stehen, für Interviews und Fragen. Bevor das geschieht, hielt ich es für wichtig, der Welt zu zeigen, dass wir selbst imstande sind, das zu praktizieren, was wir predigen. Komm her, Frances.«
Frances, die ich als Andrea kennen gelernt habe, tritt ins Aufnahmefeld der Kamera. Sie sieht genauso friedvoll und entspannt aus wie ihr Bruder. Beinahe strahlend. Zusammen sind beide sehr viel attraktiver als allein. Wie Spiegel, die das Licht aufeinander zurückwerfen. Sie lächelt ihren Bruder an und wendet sich der Kamera zu. Er spricht weiter.
»Frances und ich wurden als Zwillinge geboren. Wir kamen gesund zur Welt und lebten gesund, was Gottes erstes Geschenk an uns war, wie Sie zweifellos bald sehen werden. Es hätte durchaus ganz anders kommen können. Wir hatten ein schwieriges Leben, und es war nicht ohne Sünden und Lügen. Wir sind bei mehr als einer Gelegenheit von Gottes Pfad abgewichen. Jetzt ist es an der Zeit für uns, das zu tun, was wir auch von anderen verlangen: Es ist an der Zeit für unsere Beichte.«
»Die will ich hören«, murmelt Alan.
»Unser Vater ...«, beginnt der Prediger, »... unser Vater war katholischer Priester.«
DIE
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