Das Boese in uns
verstehe.« Wieder Schweigen. »Danke, dass Sie mich auf dem Laufenden halten, Smoky. Bitte rufen Sie mich an, wenn Sie irgendetwas brauchen.«
Sie legt auf. Mir wird jetzt erst bewusst, dass sie mich nicht danach gefragt hat, was sonst noch in Lisas Tagebuch geschrieben steht.
Vielleicht bist du am Ende ja doch zu Unehrlichkeit imstande, Rosario? Vielleicht fürchtest du dich insgeheim davor herauszufinden, dass Lisa nicht ganz so glücklich war, wie sie dir immer erzählt hat?
Ich kann es ihr nicht verdenken. Auch ich will, dass die Erinnerungen an meine Alexa so makellos sind wie nur möglich.
Mein Handy summt. Es ist Alan.
»Richard Ambrose ist tot«, sagt er ohne Umschweife. »Seine Leiche liegt noch hier im Haus.«
Ich fluche in mich hinein. Diese Sache gleitet mir aus der Hand.
»Gib mir die Adresse, Alan. Ich nehme mir ein Taxi und komme zu dir.«
Kapitel 8
Inzwischen ist es fast zehn Uhr morgens, und so langsam fühle ich mich wie jemand, der eine Nacht durchgemacht hat. Meine Augen sind trocken, ich habe einen schlechten Geschmack im Mund und Schmerzen, die ich normalerweise gar nicht kenne.
Ich konzentriere mich auf das Wetter und den Himmel, um mich wachzurütteln. Die Kälte hat die Luft gereinigt, und der Himmel ist unglaublich blau. Als ich aus dem Taxi steige, erfasst mich der Wind. Er ist beißend, doch nicht unangenehm. Die Sonne brennt kalt vom Himmel - nur Licht, keine Wärme.
Richard Ambrose hat in einem mittelgroßen älteren Haus gewohnt. Es besitzt ein weit vorspringendes Schrägdach — typisch für Häuser in Gegenden, in denen viel Schnee fällt. Das Äußere ist größtenteils grauer Stein, aufgehellt an verschiedenen Stellen mit blauen und weißen Säumen. Das Haus steht inmitten eines großen umzäunten Gartens voller Herbstblätter.
Es ist eine stille, bezaubernde Gegend. In mir steigen Visionen von Apfelcider an Halloween auf, an Kinder, die diese Blätter auf dem Rasen zu einem Haufen zusammenkehren, um anschließend darauf zu springen. Ich gehöre nicht zu jenen Kaliforniern, die der Meinung sind, dass Kalifornien allen anderen Bundesstaaten überlegen sei oder gar der einzige Ort, an dem man es aushalten kann. Ich kann verstehen, wie anziehend ein Ort wie dieser wirken muss, was für eine Ausstrahlung er besitzt. Ich könnte mir sogar vorstellen, hier zu leben - wäre nicht der verdammte Schnee.
Ich hasse den Schnee.
Ich bezahle das Taxi und schicke es fort, und dann stapfe ich durch das raschelnde Herbstlaub zur Betonveranda. Ich sehe, wie der Nachbar zur Linken hinter einem Vorhang hervorspäht. Die Vordertür ist aufgebrochen. Ich trete ein und finde mich umhüllt vom widerlichen, süßlichen Geruch nach Tod und Verwesung.
»O Gott ...« Ich schlucke mühsam, um den Brechreiz zu unterdrücken, und zwinge mich, die Tür hinter mir zu schließen.
Das Innere des Hauses ist warm - wärmer, als es sein sollte, als hätte jemand die Heizung hochgedreht.
Ist das ein kleines Geschenk an uns?, frage ich den Killer. Hast du das Haus mit Absicht in eine Sauna verwandelt, damit der Leichnam zu stinken anfingt?
Ich atme tief durch die Nase ein und aus und kämpfe gegen den Würgereiz an, der mich erfasst. Ich habe keine Maske, die ich aufsetzen könnte, und kein Menthol, das ich mir unter die Nase reiben kann. Das Atmen ist ein weiterer Trick: Atme den Gestank in vollen Zügen ein und überlaste den Riechnerv, bis er den Dienst quittiert. Doch nichts funktioniert zu hundert Prozent - nichts außer einer Gasmaske. Der Geruch des Todes ist zu durchdringend.
Das Innere des Hauses passt zum Äußeren. Antike Einrichtungsgegenstände. Ich sehe überall dunkle Hartholzdielen, und obwohl das Holz glänzt, ist es verkratzt und abgenutzt - edles, altes Holz. Die Wände sind Feinputz, und die Lampen sind ebenso alt wie authentisch.
»Alan?«, rufe ich gedämpft.
»Oben«, kommt seine Antwort.
Die Treppe in den ersten Stock liegt der Haustür gegenüber. Sie ist schmal und zu beiden Seiten von einer Wand gesäumt. Ich steige die Stufen hinauf, die ohne Ausnahme knarren und quieken - noch mehr von diesem alten Holz. Der Gestank nach verwesendem Fleisch wird von Sekunde zu Sekunde stärker.
Ich erreiche den oberen Absatz und finde mich vor einer Wand wieder. Ein Flur führt nach rechts und links.
»Wo bist du?«, rufe ich erneut.
»Elternschlafzimmer!«, ruft er zurück. Seine Stimme kommt von links.
Ich wende mich nach links und lausche den Dielen, die protestierend knarzen,
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