Das Boese in uns
wahrscheinlich schon alles gehört. Pädophilie. Inzest. Vergewaltigung. Mord. Der Unterschied zwischen Ihnen und mir sind unsere Ziele und die Mittel, die wir einsetzen, um diese Ziele zu erreichen.«
»Ich bringe die Menschen ins Gefängnis, und Sie versuchen, sie zu befreien.«
Es klingt ein wenig zynisch. Das hatte ich nicht gewollt.
Er antwortet mit einem belustigten Lächeln. »Und welche von beiden Methoden ist Ihrer Meinung nach die wirkungsvollere?«
Ich breite die Hände aus. »Verbrecher können Gott genauso gut im Gefängnis finden wie draußen, Vater. Aber im Gefängnis können sie wenigstens keinen Schaden mehr anrichten.«
Er kichert. »Ein Punkt für Sie, Agentin Barrett. Ich will nicht darüber streiten. Ich finde, was ein Mensch wirklich ist, zeigt sich in seinen Handlungen. Es mag nicht der Werbeslogan der Kirche sein, was ich jetzt sage, aber mir ist wichtiger, wie ein Mensch sein Leben lebt, als die Frage, wie oft er die heilige Kommunion empfängt.« Seine Miene wird ernst. »Ich habe von Ihrer Geschichte gehört und kenne einige der Männer, die Sie hinter Gitter gebracht haben. Sie sind sehr tüchtig.« »Danke, Vater.«
Alan und Atkins sitzen ein paar Bänke hinter uns. Sie verhalten sich ruhig und unauffällig. Das hier ist eine Befragung, kein Verhör. Vertraulichkeit ist wichtig.
»Erzählen Sie mir von Rosemary«, fordere ich ihn auf.
»Ich bin seit zwanzig Jahren Pastor in dieser Gemeinde, Agentin Barrett. Wie Sie sicherlich wissen, ist L. A. eine temperamentvolle Stadt voller Kontraste. In den fünf Blocks, die meine Gemeinde umfasst, finden Sie anständige Familien aus der Mittelschicht und Teenagerprostitution, Elitestudenten und Straßenschläger, und alle teilen sich das gleiche Pflaster.«
»Ja.«
»Als ich von Gott ins Priesteramt gerufen wurde, wusste ich, dass er einen Mann der Praxis haben wollte. Meine Begabung liegt nicht darin, die Messe zu lesen. Gewiss, das kann ich auch, aber ich bin kein großer Prediger vor dem Herrn. Gott wusste, dass ich etwas anderes zu bieten hatte - ich kann das Böse in anderen sehen, ohne den Glauben an die Möglichkeit einer Erlösung zu verlieren.« Er lächelt schief. »Er wusste außerdem, dass ich mit einem großen Mundwerk und einem kritischen Verstand ausgestattet bin. Verstehen Sie das nicht falsch, ich stehe mit ganzem Herzen hinter meiner Kirche, doch es mangelt mir an politischem Geschick. Wenn ich der Meinung bin, dass das Kirchenrecht reformiert werden sollte, dann sage ich das auch.«
»Ich verstehe«, antworte ich amüsiert.
Es ist interessant für mich zu sehen, dass es selbst in den engen Grenzen der Kirche einen Graben gibt zwischen den Robenträgern und den Männern vor Ort, zwischen den Offizieren in der Etappe und den Männern an der Front.
»Ich wurde in diese winzige Gemeinde versetzt, weil sie mich irgendwo hinstecken mussten. Sie wussten, dass es ein Fehler wäre, mich in ein Kloster zu schicken - die Kirche ist nicht immer blind, egal, was manche Leute denken —, doch sie wollten mich auch nicht im Rampenlicht.« Er grinst, und ich sehe ihn vor mir als zwanzig Jahre jüngeren Mann, voller Energie, ein richtiger Rebell. »Ich hätte vor Freude die ganze Welt umarmen können. Ich war genau dort, wo ich immer hingewollt hatte.«
Eine Frage kommt mir in den Sinn. »Dürfte ich Sie fragen, Vater, was Sie gemacht haben, bevor Sie Priester wurden?«
»Natürlich, Agentin Barrett. Bevor ich Priester wurde, war ich ein unruhiger junger Mann. Ich habe wegen Diebstahls im Erziehungsheim gesessen. Ich hatte Affären mit Frauen. Ich habe getrunken, und ich war ein übler Schläger.«
Er sagt das alles ohne die kleinste Spur von Scham. Kein Stolz auf die Vergangenheit, aber auch keine Entschuldigung.
»Und wie kam es zu der Veränderung?«, frage ich.
»Ich bin einem alten Priester begegnet. Vater Montgomery. Ein gütiger Mann, aber hart wie Stahl. Er packte mich beim Schlafittchen und wusch mir den Kopf. Er beeindruckte mich zutiefst. Da stand er, ein Mann Gottes - ein Beruf, den ich immer abgetan hatte als etwas für Schwächlinge -, und er blinzelte nicht beim Anblick von Blut oder rümpfte die Nase, wenn ein junges Mädchen in einem Leder-Minirock und Plateauschuhen zum Beten kam. Vater Montgomery spendete ihr das Sakrament der heiligen Kommunion, obwohl er wusste, dass sie nach dem Gottesdienst aus der Tür gehen und ihren Körper verkaufen würde. Er hatte einen Wahlspruch: >Lass dein Messer draußen liegen,
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