Das Boese in uns
Ordnung, aber ich bin okay. Es hätte ja ganz anders enden können. Ich hätte mich nie wieder erholen können, weißt du? Ich war nicht sicher, ob ich je wieder reden wollte oder ob die Albträume je wieder aufhören würden. Ich dachte daran, mich selbst zu töten. Aber jetzt mag ich mein Leben wieder. Ich liebe Elaina und Alan, und am meisten von allen liebe ich dich.« Sie grinst. »Zum Beispiel heute Abend. Wir haben Steaks gebraten.«
»Ja«, sage ich. »Leckere Steaks.«
»Das ist nichts Besonderes, aber es ist alles. Weißt du?« »Ich weiß, mein Schatz.«
»Die Sache mit meiner Mom ist trotzdem passiert, Smoky. Sie ist passiert, und sie ist immer da, und auf gewisse Weise wird sie wohl immer bleiben. Und weißt du was? Ich will auch gar nicht vergessen. Ich glaube, an dem Tag, an dem ich mich nicht mehr erinnern kann, wie Mom in diesem Zimmer ausgesehen hat, stecke ich in ziemlichen Schwierigkeiten.«
Die schlichte Weisheit ihrer Worte nimmt dem Dolch, der beinahe mein Herz durchbohrt hätte, die Schärfe. Bonnie hat recht. Ich habe immer geglaubt, ich würde Matt und Alexa noch einmal umbringen, sobald ich nicht mehr um sie traure. Irgendwann wurde mir bewusst, dass Trauer nicht erforderlich ist, nicht einmal Schuldgefühle. Erinnern alleine genügt. Aber - ein riesengroßes Aber - Erinnern ist unbedingt notwendig. »Ich verstehe«, sage ich zu Bonnie.
Sie lächelt mich an. »Ich weiß. Deswegen müsstest du auch verstehen, warum ich später den Job machen will, den du hast.«
»Wegen dem, was deiner Mom passiert ist.«
Die kühlen, berechnenden Augen sind wieder da. Die Zwölfjährige ist wieder verschwunden.
»Nicht nur wegen Mom. Auch wegen dem, was mir passiert ist. Wegen dem, was dir passiert ist. Wegen dem, was Sarah passiert ist.«
Sarah ist das überlebende Opfer eines Falles, den ich vor ein paar Jahren gelöst habe. Auch wenn sie sechs Jahre älter ist als Bonnie, haben die beiden sich in ihrem Elend gefunden und sind weiterhin enge Freundinnen.
»Jeder, den ich kenne und liebe, weiß, dass es diese Monster wirklich gibt, Smoky. Und wenn man weiß, dass es sie gibt, kann man nicht mehr so tun, als gäbe es sie nicht. Dann muss man etwas unternehmen.«
Ich starre sie an. Ich will diese Worte nicht aus diesem Mund hören.
Mein Gott, ich hasse dieses Gespräch. Weil die Räder in dem Moment in Bewegung gesetzt wurden, in dem Bonnie an ihre aufgeschlitzte tote Mutter gefesselt und ihrem Schicksal überlassen wurde. Weil sie sich damals verändert hat und zu der heutigen Bonnie geworden ist.
Es macht mich traurig. Ich habe in einer Phantasiewelt gelebt, als ich mir eingebildet habe, Bonnie würde zu einer normalen Erwachsenen heranreifen, in ein normales Leben hineinwachsen, einer normalen Arbeit nachgehen, heiraten und Kinder bekommen.
Wen habe ich damit täuschen können? Bonnie nicht, so viel steht fest.
Ich seufze. »Ich verstehe.« Es mag mir nicht gefallen, aber ich verstehe sie wirklich.
»Dazu gehört aber, dass ich auf eine normale Schule gehe. Ich kann die Monster nicht verstehen, nicht wirklich, wenn ich nicht einmal normale Menschen verstehe, weißt du?«
Und du bist keiner von den normalen Menschen, Baby? Ich denke die Worte, doch ich spreche sie nicht aus. Ich will die Antwort nicht hören.
»Ich dachte, du willst zur Schule, weil du Freundinnen in deinem Alter finden möchtest.«
»Aber ich bin nicht in meinem Alter, Smoky.«
Endlich geschieht es, gegen meinen Willen. Diese schlichte Feststellung reicht aus, um eine Träne hervorzubringen. Sie kullert meine Wange hinunter. Bonnie verzieht sorgenvoll das Gesicht und streckt die Hand aus, um mir die Träne abzuwischen.
»Tut mir leid. Ich wollte dich nicht traurig machen.«
Ich räuspere mich. »Ich möchte nicht, dass du mir jemals irgendetwas anderes als die Wahrheit sagst. Ganz egal, wie ich mich dadurch fühle.«
»Aber ich möchte nicht, dass du dich schlecht fühlst. Ich könnte tot sein. Ich könnte in einer Klapsmühle sitzen. Ich könnte immer noch mitten in der Nacht schreiend aufwachen ... du erinnerst dich?«
»Ja.«
Das ist uns beiden passiert, manchmal gleichzeitig. Albträume spazierten in unseren Schlaf, und wir wachten von unseren eigenen gellenden Schreien auf.
»Das alles ist viel besser heute, siehst du? Ich möchte nicht, dass du denkst, ich wäre nicht glücklich.«
Es gelingt ihr, tief in mich vorzudringen und die größte, schlimmste Angst einer jeden Mutter in Worte zu kleiden.
»Bist
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