Das Boese in uns
macht die Zeit zu etwas Belanglosem, Irrelevantem. Rosario hat die Fassung nicht verloren, als ihr Kind ermordet wurde. Doch jetzt, beim Gedanken an ihren jungen Sohn und das Ende seiner Samstagmorgen, kann sie nicht mehr.
»Sind wir diesem Ungeheuer denn bereits einen Schritt nähergekommen?«, fragt sie nach ein paar Sekunden.
»In gewissem Sinne, ja. Er hat uns mit Videoaufzeichnungen seiner früheren Morde versorgt. Je mehr Daten wir haben, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass wir ihn fassen.«
»Aber warum sollte er aller Welt Lisas Geheimnis verraten? War es denn nicht genug, sie zu ermorden?«
Rosario will verstehen, und ich versuche ihr zu helfen, auch wenn ich weiß, dass es kein Trost für sie ist.
»Es geht stets nur um Macht, Rosario. Macht über Leben und Tod. Seine Opfer zu ermorden ist ihm nicht genug. Er will spüren, dass er alles unter Kontrolle hat, selbst das Persönlichste, Privateste und Bestgehütete. Das ist sein Sex. Großartiger Sex.«
»Und sein Gefasel über Gott und die Wahrheit?« Ihre Stimme zittert vor Abscheu.
»Er glaubt, dass er glaubt. Da bin ich sicher. Doch er ist zugleich verrückt. Deshalb verkennt er die Wahrheit.«
»Und wie sieht diese Wahrheit aus?«
»Er redet von Reue und Vergebung der Sünden und dass er seinen Opfern hilft, das ewige Seelenheil zu erlangen. Vielleicht glaubt er sogar daran, weil er es sich immer wieder einredet. Die hässliche Wahrheit aber sieht so aus, dass er ein perverser Killer ist, der Spaß am Töten hat.«
Rosario schweigt für einen Moment. »Woher wollen Sie das wissen?«
Ich denke über die Frage nach. Es ist nicht das erste Mal, dass ich sie zu hören bekomme.
»Ich lasse zu, das zu empfinden, was Menschen wie er empfinden.«
Neuerliches Schweigen.
»Und was empfindet er, wenn er tötet? Dieses Ungeheuer, das mein Baby ermordet hat?«
»Abartige Freude«, antworte ich ohne Zögern. »Den höchsten Genuss.«
As sie wieder spricht, klingt ihre Stimme rau und dunkel. »Ich will, dass er Qualen erleidet. Höllenqualen. So wie seine Opfer.«
»Ich weiß. Ich werde versuchen, ihn zu fassen.«
»Machen Sie sich keine Gedanken um mich oder das, was es für meine Familie bedeutet, wenn die Sache an die Öffentlichkeit gelangt. Es wird schwierig, aber wir kommen damit klar. Konzentrieren Sie sich darauf, dieses ... dieses Ding zu finden. Bitte.«
»Das werde ich.«
Alan hält mir ein Blatt hin, als ich ins Büro zurückkehre.
»Er nennt uns die Namen bei jedem der Fälle«, sagt er. »Einige von ihnen liegen schon ziemlich lange zurück, bis zu zwanzig Jahre, schätze ich, wenn man sich die Frisuren, Kleidung und dergleichen anschaut.«
»Und es ist im Grunde jedes Mal das gleiche Schema«, sagt Callie. »Er bringt sie dazu, ein großes, dunkles Geheimnis zu beichten, und dann macht er ihnen klar, dass er sie töten wird.«
»Allerdings endet jeder Clip vor dem eigentlichen Mord«, wirft James ein.
»Ja, eigenartig«, denke ich laut nach. »Man sollte doch meinen, dass der Augenblick des Todes für ihn wichtiger ist als das Vorspiel.«
»Vielleicht will er dadurch glaubwürdiger erscheinen«, sagt James. »Er erzählt uns - und redet sich selbst ein -, dass er das alles tut, um seine Vorstellung von Wahrhaftigkeit zu belegen, die den Menschen Gott am nächsten bringt. Er versucht, dies der Welt zu vermitteln, sodass andere ebenfalls errettet werden können. Vielleicht befürchtet er, dass er zu voyeuristisch erscheint, wenn er die Morde zeigt.«
»Ich wette, dass er jeden einzelnen Mord gefilmt hat«, sagt Alan. »Er hat sie bloß aus den Clips herausgeschnitten. Wahrscheinlich sitzt er zu Hause und holt sich einen runter, während er sich die Szenen anschaut.«
»Ich weiß nicht recht«, wende ich ein. »Ich glaube, dass er sich unter Kontrolle hat. Der fromme Mann, der den Versuchungen und den eigenen Lastern widersteht ... irgendwas in der Art. Es passt zu dem, was er uns als seine Persönlichkeit unterschieben will. Okay, schauen wir uns erst einmal weiter die Clips an, und notieren wir uns die Namen. Wenn er schon bereit ist, uns die Namen zu geben, sollten wir die Gelegenheit nutzen.«
Ich informiere die anderen über Jezebel Smith und meine Unterhaltung mit AD Jones.
Alan schaut auf die Uhr. »Sie müsste bald hier sein. Richtet sie die Nummer ein?«
Damit meint er die geplante Telefon-Hotline für die Angehörigen, mögliche Zeugen und Tippgeber.
»Ja. Sie kennt sich aus damit. Sie leitet die Show
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