Das Boese in uns
alleine.«
Niemand sagt etwas. '
»Also dann, an die Arbeit.«
Augenblicke später bin ich zurück in meinem Büro. James hat sämtliche Clips heruntergeladen und zwischen uns aufgeteilt. Ich schiebe die CD, die er mir gegeben hat, in den Computer. Die Clips sind numerisch geordnet, mit einer vierstelligen Zahl. Ich seufze tief und klicke auf den erste Clip. Das schwarze Fenster öffnet sich; dann erscheint die weiße Schrift: »Die Sünden und der Tod von Maxine McGee.« Ich notiere den Namen auf einem Block. Das Gesicht einer Frau erscheint. Es ist ein hübsches Gesicht, wenngleich nicht klassisch schön. Sie hat braunes, schulterlanges Haar, und der Schnitt verrät mir, dass der Clip irgendwann in den 1980ern aufgenommen wurde. Sie hat große braune Augen, und ihr Gesicht ist beinahe pausbäckig. Die braunen Augen sind umgeben von Schwarz. Es sind die Augen eines Waschbären, weil sie schluchzt und verängstigt ist und weil ihre Tränen die Wimperntusche verlaufen lassen.
Ich notiere ihre äußeren Merkmale neben ihrem Namen auf dem Block, um mich ein Stück von der Realität dessen zu entfernen, was ich auf dem Bildschirm sehe. Die Frau auf dem Schirm ist längst tot. Sie durchlebt ihre letzten Augenblicke; sie weiß es, und ich sehe, dass sie es weiß. Es macht mich müde.
»Maxine McGee«, intoniert der Prediger mit seiner angenehmen Stimme, die ich zu hassen gelernt habe. »Erzähl den Menschen, die das hier sehen, von deiner Sünde.«
»Wo-wo-wovon reden Sie?«, fragt Maxine schluchzend.
»Maxine.« Die Stimme hat einen tadelnden Tonfall, das verbale Äquivalent eines freundlich mahnend erhobenen Zeigefingers. »Möchtest du nicht zur Rechten Gottes sitzen? Erzähl ihnen von deinem Baby. Erzähl ihnen vom kleinen Charles. Wie alt warst du damals? Sechzehn?«
Ihr Verhalten ändert sich augenblicklich und auf erschreckende Weise. Ihre Augen weiten sich, die Tränen versiegen, und ihr Unterkiefer sinkt herab. Mit einem Mal ist sie eine Karikatur aus Schock und Fassungslosigkeit.
»Siehst du? Du weißt also, wovon ich rede.«
Der Abgrund aus Furcht und Beunruhigung in meinem Magen hat sich wieder aufgetan.
Maxine blinzelt. Schließt den Mund. Öffnet ihn wieder. Schließt ihn erneut.
Sie sieht aus wie ein sterbender Guppy.
»Komm schon, Maxine. Charles. Du erinnerst dich doch an Charles, oder? Der Säugling Charles, der in einer Mülltonne in einer dunklen Gasse seinen letzten Atemzug getan hat, weggeworfen wie Abfall?«
Der Ausdruck, der jetzt über Maxines Gesicht huscht, jagt mir einen Schauer über den Rücken. Es ist Verletzung, so tief, so absolut, so authentisch, dass ich den Clip beinahe anhalte. Er hat sie allein dadurch verletzt, dass er ihr gezeigt hat, dass er es weiß. Er ist durch ihre stärkste Verteidigung geschlüpft, und das ist schlimmer, als an einen Stuhl gefesselt zu sein. Vielleicht sogar schlimmer als das Wissen, dass sie sterben wird.
Das ist es, begreife ich. Das ist es, was ihn anmacht. Dieser Augenblick der tiefsten Not, der Verzweiflung, der hoffnungslosen Unterwerfung.
Sie beginnt erneut zu weinen, doch es ist eine andere Art von Trauer. Es ist Scham, nicht Angst. Sie lässt den Kopf hängen, und die von Schminke schwarzen Tränen platschen auf ihre nackten Beine und hinterlassen schwarze Streifen darauf.
»Ich war doch erst sechzehn«, sagt sie fast unhörbar leise. Sie klingt wie sechzehn, als sie es sagt.
»Stimmt«, sagt er. »Andererseits, wie alt war der kleine Charles?«
»Minuten«, haucht sie. »Er war erst ein paar Minuten auf der Welt.«
»Und was hast du mit ihm gemacht?«
»Ich ... ich war erst sechzehn. Ich wurde schwanger von ... von Daddy. Er und Mom taten so, als würden sie nichts bemerken. Ich war dünn, und mein Bauch wurde nicht so dick, aber die anderen Kinder in der Schule merkten es. Aber Daddy ... er kam nachts trotzdem weiter zu mir.« Sie hält den Kopf wieder erhoben. Sie starrt ins Nichts, während sie sich erinnert. Sie ist zurückgefallen in ihre Kindheit, und sie spricht mit kindlicher Stimme. »Ich hasste dieses Ding in meinem Bauch. Es kam davon, weil Daddy immer bei mir war, und ich weiß noch, wie ich immer dachte, dass ich so was wie einen Teufel in mir habe ... einen Dämon. Eine Kreatur mit Fängen und Klauen, die wächst und wächst. Manchmal bewegte sie sich, und ich fing an zu
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