Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Titel: Das Böse kommt auf leisen Sohlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
Vom Netzwerk:
Hand weiter, wurde älter und älter. So würde diese weitgereiste Hand ihm fremd werden und Dinge erfahren, die er selbst, wenn er im Bett lag, nur erahnen konnte. Ein vierzehnjähriger Junge mit einer fünfzehn Jahre alten Hand! Ja, Jim hielt sie fest umklammert und wollte sie nicht loslassen. Und Jims Gesicht – war es von der Reise schon älter geworden? War er schon fünfzehn, ging er schon auf die Sechzehn zu? 
    Will zog. Jim zog in die andere Richtung. 
    Will fiel auf das Karussell. 
    Beide fuhren nun durch die Nacht. 
    Der ganze Will begleitete nun seinen Freund Jim. 
    "Jim! Dad!" 
    Wie leicht wäre es jetzt, nur stillezuhalten, weiterzufahren mit Jim, immer im Kreise. Wenn er Jim schon nicht herabzerren konnte, ihn dann einfach auf dem Karussell lassen und ihn begleiten – zwei liebe Freunde, Reisegefährten! Sein Blut wallte, blendete ihn, sauste in seinen Ohren, schoß ihm elektrisierend in die Lenden. 
    Jim schrie. 
    Will schrie. 
    Sie glitten ein halbes Jahr weit durch die treibhauswarme Dunkelheit, dann packte Will den Arm seines Freundes fester und wagte den Absprung von der Aussicht so vieler herrlicher Jahre des Größerwerdens. Er warf sich hinaus, hinab, wollte Jim mit sich ziehen. Aber Jim konnte den Pfosten nicht loslassen, die Fahrt nicht aufgeben. 
    "Will!" 
    Jim schrie auf, in der Mitte zwischen Maschine und Freund, mit je einer Hand an dieser und jenem festgeklammert. 
    Es war, als würde Stoff oder Fleisch zerrissen. 
    Jims Augen wurden so ausdruckslos wie bei einer Statue. 
    Das Karussell drehte sich weiter. 
    Jim schrie, stürzte, wirbelte haltlos durch die Luft. 
    Will versuchte seinen Sturz zu mildern, doch Jim prallte sich überschlagend auf den Boden. Dort blieb er still liegen. 
    Da fand Charles Halloway den Schalter des Karussells. 
    Die leere Maschine wurde langsamer. Die Pferde fielen vom Galopp durch eine ferne Mittsommernacht in Trab, in Schritt. 
    Charles Halloway und sein Sohn knieten nebeneinander vor Jim, tasteten nach seinem Puls, legten ihr Ohr an seine Brust. Jims Blick aus den weißstarrenden Augen war auf die Sterne gerichtet. 
    "O Gott!" schrie Will. "Ist er tot?" 

Zweiundfünfzigstes Kapitel 
----
    "Tot..." 
    Wills Vater fuhr ihm mit der Hand über das kalte Gesicht, die kalte Brust. "Ich fühle nichts..." 
    In der Ferne rief jemand um Hilfe. 
    Sie blickten beide auf. 
    Ein Junge kam den Mittelweg heruntergerannt, stieß hier gegen ein Kassenhäuschen, stolperte da über eine Spannschnur, warf gehetzt einen Blick über die Schulter. 
    "Hilfe! Er ist hinter mir her!" schrie der Junge. "Dieser schreckliche Kerl! Ich will nach Hause!" 
    Der Junge kam herangestürzt und klammerte sich an Wills Vater. "Hilfe, ich bin verloren, ich mag das nicht. Ich will nach Hause. Der Mann mit den Tätowierungen." 
    "Mr. Dark", keuchte Will. 
    "Ja!" wimmerte der Junge. "Er kommt da herunter! Bitte, haltet ihn auf!" 
    "Will, kümmere dich um Jim." Dad erhob sich. "Künstliche Atmung. So, mein Junge." 
    Der Junge lief davon. "Hier entlang!" 
    Charles Halloway folgte dem verwirrten Jungen und beobachtete ihn dabei – seinen Kopf, seinen Rumpf, die Art, wie sein Becken angewachsen war. 
    Als sie im Schatten des Karussells standen, zehn Schritte von Will und Jim entfernt, fragte er: "Wie heißt du denn, mein Junge?" 
    "Keine Zeit!" jammerte der Junge. "Jed. Schnell, schnell!" 
    Charles Halloway blieb stehen. 
    "Jed", sagte er. Der Junge rieb sich ungeduldig die Ellbogen. Er drehte sich um. "Wie alt bist du eigentlich, Jed?" 
    "Neun!" antwortete der Junge. "Herrgott, wir haben jetzt keine Zeit! Wir..." 
    "Wir haben genug Zeit, Jed", sagte Charles Halloway. "Erst neun? So jung. So jung war ich nie." 
    "Heiliger Strohsack!" schrie der Junge zornig. 
    "Vielleicht auch unheilig", sagte der Mann und streckte die Hand nach dem Jungen aus. Der Junge wich zurück. "Jed, du hast nur vor einem Angst, nämlich vor mir." 
    "Vor Ihnen?" Der Junge tat noch einen Schritt zurück. 
    "Hören Sie doch auf! Warum denn, warum?" 
    "Weil das Gute manchmal Waffen besitzt und das Böse nicht. Weil manchmal ein Trick danebengeht. Weil sich manchmal die Leute nicht irreführen und in die Falle locken lassen. Heute abend gibt's kein divide-et-impera, Jed! Wohin wolltest du mich führen, Jed? Zu irgendeinem Löwenkäfig, den du für mich vorbereitet hast? In irgendeine Trickbude wie das Spiegelkabinett? Zu jemandem wie

Weitere Kostenlose Bücher