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Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Titel: Das Böse kommt auf leisen Sohlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Hauer, geängstigte Faultiere vor dem Gewitter. 
    Anscheinend riß jeder bei der Flucht eine Zeltleine mit, löste einen Zelthaken. 
    Denn nun erschütterte ein mächtiger Atemzug die Luft, ein Einatmen, das Rasseln und Ächzen der zusammenbrechenden Dunkelheit, als die Zelte einstürzten. 
    Mit dem Zischen von Nattern, dem Fauchen einer Kobra zuckten wie verrückt die Leinen, fuhren hoch, peitschten das Gras. 
    Die Verspannung des großen Zeltes der Mißgeburten zuckte, Knochen wurden sortiert – kleine, mittlere und riesige –, alles schwankte vor dem drohenden Einsturz. 
    Das Tierzelt schoß hoch wie ein dunkler spanischer Fächer. 
    Vor dem Befehl des Windes fielen die anderen kleinen Zelte, dunkle Umrisse auf dem Rasen, in sich zusammen. 
    Dann, ganz zuletzt, sog das gewaltige Zelt der Mißgeburten wie ein großes, müdes Reptil in einem tosenden Sturmstoß die Luft ein, riß dreihundert Spannleinen los, zerrte an seinen Seitenstützen, daß sie wie Zähne aus einem Zyklopenkiefer fielen, peitschte die Luft mit weiten, muffigen Flügeln, als wollte es sich gleich einem Drachen aufschwingen, brach dann aber unter der einfachen Schwerkraft zusammen und wurde vom eigenen Gewicht begraben. 
    Dieses größte der Zelte atmete nun schale Luft aus, Konfetti, der schon uralt war, als die Kanäle Venedigs noch nicht entworfen waren, Wolken von rosa Zuckerwolle, die aussahen wie müde Federboas. Beim Zusammenstürzen häutete sich das Zelt. Es ächzte und stöhnte, bis die letzten drei Hauptmasten des inneren Gerippes mit drei donnernden Kanonenschlägen umstürzten. 
    Die Zirkusorgel wimmerte kläglich vor dem Windstoß. 
    Der Zug stand wie ein liegengelassenes Spielzeug auf der Wiese. 
    Die gemalten Zerrbilder hoch droben auf dem Mast klatschten noch einmal in die Hände und fielen herab. 
    Das Skelett, der einzige verbliebene Fremde, bückte sich, um den zerbrechlichen Körper dessen aufzuheben, der einst Mr. Dark war. Er ging hinaus auf die Wiesen. 
    Mit einem raschen Seitenblick sah Will den dürren Mann mit seiner Last den Spuren des übrigen Zirkus folgen und über einen Hügel verschwinden. Schatten huschten über Wills Gesicht, hervorgerufen von den Erschütterungen, dem Durcheinander, dem Tod, den davonfliegenden Seelen. Cooger, Dark, Skelett, Zwerg, der einmal ein Blitzableiterverkäufer war – nicht davonlaufen! 
    Kommt zurück! Miss Foley, wo stecken Sie nur? 
    Mr. Crosetti, es ist vorbei! Nur ruhig! Ruhig! Alles ist in Ordnung. Kommt zurück, kommt zurück! 
    Doch der Wind verwehte ihre Spuren im Gras. 
    Vielleicht liefen sie nun für ewige Zeiten dahin und versuchten sich selbst zu entfliehen. Will kniete wieder neben Jim nieder, drückte auf seine Brust, ließ los, drückte wieder, ließ wieder los. Dann berührte er mit zitternder Hand die Wange seines besten Freundes. 
    "Jim..." 
    Aber Jim war so kalt wie frisch aufgeworfene Erde. 

Vierundfünfzigstes Kapitel 

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    Unter der Kälte lag eine flüchtige Wärme, auf der weißen Haut erschien ein wenig Farbe, doch als Will nach Jims Handgelenk fühlte, als er ihm das Ohr auf die Brust legte, spürte und hörte er nichts. 
    "Er ist tot!" 
    Charles Halloway trat zu seinem Sohn, zu dem Freund seines Sohnes. Er kniete nieder und berührte den reglosen Hals, den unbewegten Brustkorb. 
    "Nein!" Er war verwundert. "Nein, nicht ganz..." 
    "Tot!" 
    Will schossen die Tränen in die Augen. Doch dann fühlte er sich plötzlich gestoßen, geschlagen, gerüttelt. 
    "Hör auf!" schrie ihn sein Vater an. "Willst du ihn nicht retten?" 
    "Zu spät, Dad, zu spät!" 
    "Halt den Mund! Hör mal!" 
    Doch Will weinte. 
    Noch einmal holte sein Vater aus und versetzte ihm eine Ohrfeige. Auf die linke Wange. Dann eine auf die rechte, noch kräftiger. 
    Vor den Hieben flogen alle Tränen davon. Keine einzige blieb zurück. 
    "Will!" Wütend deutete sein Vater mit dem Finger auf ihn, auf Jim. "Verdammt, Will – die alle hier, Mr. Dark und seinesgleichen, die lieben Tränen. Mein Gott, nichts ist ihnen lieber als Tränen! Je mehr du heulst, um so mehr saugen sie dir das Salz vom Kinn, sie saugen dir den Atem aus dem Leib wie Katzen. Steh auf! Los, hoch mit dir! Spring herum! Schrei laut, so laut du kannst! Hörst du? Schrei, Will. Sing, aber am wichtigsten ist, daß du lachst. Hast du das kapiert? Du sollst lachen!" 
    "Ich kann doch nicht!" 
    "Du mußt! Etwas anderes haben wir nicht. Ich

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