Das Böse unter der Sonne
Marshall.
Sie trug ihren weißen Badeanzug und den grünen Chinesenhut und versuchte, ein weißes Holzfloß flott zu machen. Galant eilte ihr Poirot zu Hilfe, wobei seine weißen Wildlederschuhe durch und durch nass wurden.
Arlena dankte ihm mit einem verführerischen Seitenblick, wie sie ihn oft den Herren der Schöpfung zuwarf, und schwang sich hinauf. Dabei rief sie: «Monsieur Poirot?»
Poirot sprang bis knapp zu den Wellen vor. «Madame?»
«Sie tun mir doch einen Gefallen, nicht wahr?», sagte Arlena.
«Jeden!»
Sie lächelte ihn an und sagte: «Bitte, verraten Sie niemand, wo ich bin.» Ihr Blick bekam etwas Flehendes. «Immer ist jemand hinter mir her. Dieses eine Mal möchte ich allein sein.» Sie begann, energisch zu paddeln.
Während Poirot am Strand entlangging, murmelte er vor sich hin: «Ah, unglaublich! Das, zum Beispiel, kaufe ich dir nicht ab!»
Er bezweifelte, dass Arlena Stuart, wie sie mit ihrem Bühnennamen hieß, je auch nur eine Minute ihres Lebens hatte allein sein wollen. Als Mann von Welt wusste Hercule Poirot es besser. Arlena hatte zweifellos eine Verabredung, und Poirot wusste auch, mit wem. Oder vielmehr, er glaubte es zu wissen, denn wie sich herausstellen sollte, irrte er sich.
Gerade als das Floß um den Felsvorsprung verschwunden war, tauchte Patrick Redfern auf, dicht gefolgt von Kenneth Marshall. Sie kamen vom Hotel herunter.
Marshall nickte Poirot zu. «Morgen, Poirot! Haben Sie zufällig meine Frau hier irgendwo gesehen?»
«Ist Ihre Frau so früh aufgestanden?», fragte Poirot diplomatisch.
«Sie ist nicht in ihrem Zimmer.» Marshall blickte zum Himmel hoch. «Was für ein schöner Tag. Ich werde gleich ins Wasser gehen und schwimmen. Muss heute Vormittag noch eine Menge Briefe tippen.»
Patrick Redfern war nicht gesprächig. Schweigend blickte er den Strand hinauf und hinunter. Er setzte sich neben Poirot und schien entschlossen zu sein, so lange zu warten, bis die Dame seines Herzens erscheinen würde.
«Und Madame Redfern?», fragte Poirot. «Ist sie auch so früh aufgestanden?»
«Christine?», sagte Patrick Redfern. «Ach, sie ist zum Zeichnen losgezogen. Seit neuestem ist sie ganz scharf aufs Malen.»
Aus seiner Antwort klang Ungeduld. Offensichtlich war er mit seinen Gedanken woanders. Je länger er wartete, um so nervöser schien er zu werden. Bei jedem Schritt, den er hörte, wandte er den Kopf, um festzustellen, wer vom Hotel herunterkam. Eine Enttäuschung folgte der anderen. Zuerst tauchte Mr Gardener mit seiner Frau auf, komplett mit Strickzeug und Buch, dann Miss Brewster.
Mrs Gardener, fleißig wie eh und je, machte es sich in ihrem Stuhl bequem und begann energisch zu stricken und gleichzeitig zu reden.
«Na, Monsieur Poirot, der Strand ist heute Morgen ja so leer. Wo sind denn alle?»
Poirot antwortete, dass die Mastermans und die Cowans, zwei Familien mit halbwüchsigen Kindern, einen Segelausflug machten, der den ganzen Tag dauern würde.
«Ja, das ist wirklich ein Unterschied – wenn sie nicht hier sind und lachen und rufen. Nur einer ist im Wasser, Captain Marshall.»
Marshall schwamm ans Ufer und ging zu seinem Badetuch, das auf dem Sand lag. «Das Wasser ist herrlich!», sagte er. «Schade, dass ich soviel zu tun habe. Ich muss los und mich an die Arbeit machen.»
«Wirklich ein Jammer, Captain Marshall. An einem so schönen Tag wie heute», sagte Mrs Gardener. «War es gestern nicht fürchterlich? Ich meinte noch zu meinem Mann, wenn das Wetter so bleibt, sollten wir abreisen. Diese melancholische Stimmung drückt aufs Gemüt, wissen Sie, all der Nebel… Es wird einem richtig unheimlich. Allerdings reagiere ich immer sehr auf die Atmosphäre, die mich umgibt. Das war bei mir schon als Kind so. Manchmal hatte ich das Gefühl, ich müsste schreien und immer nur schreien. Das war für meine Eltern ziemlich anstrengend. Aber meine Mutter war eine verständnisvolle Frau, und sie sagte zu meinem Vater immer: ‹Sinclair, wenn das Kind schreien muss, dann müssen wir es schreien lassen. Zu schreien ist auch eine Art, sich auszudrücken.› Und natürlich war mein Vater ihrer Meinung. Er betete meine Mutter an und tat alles, was sie wollte. Sie verstanden sich ausgezeichnet. Ich bin sicher, dass mein Mann auch so denkt. Waren sie nicht ein bemerkenswertes Paar, Odell?»
«Ja, meine Liebe», antwortete Mr Gardener.
«Wo steckt denn Ihre Tochter heute, Captain Marshall?»
«Linda? Ich weiß es nicht. Bestimmt streunt sie irgendwo auf der
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