Das Böse unter der Sonne
Alibi mit der Schreibmaschine herausgefunden hat», sagte Weston. «Außerdem wartet das Zimmermädchen, das für dieses Stockwerk zuständig ist. Wir können sie gleich vernehmen. Vielleicht hängt von ihrer Aussage einiges ab.»
Das Zimmermädchen war eine Frau von dreißig Jahren, lebhaft, tüchtig und intelligent. Sie beantwortete bereitwillig alle Fragen.
Captain Marshall war kurz nach halb elf Uhr in sein Zimmer gekommen, als sie gerade aufräumte. Er hatte sie gebeten, sich möglichst zu beeilen. Sie hatte nicht beobachtet, wie er zurückkam, aber kurze Zeit später hatte sie die Schreibmaschine gehört. Das war etwa fünf Minuten vor elf gewesen. Da hatte sie gerade im Zimmer von Mr und Mrs Redfern Ordnung gemacht. Danach war sie in Miss Darnleys Zimmer am Ende des Korridors gegangen. Von dort war die Schreibmaschine nicht mehr zu hören. Es musste kurz nach elf Uhr gewesen sein. Sie erinnerte sich, dass die Kirche von Leathercombe geläutet hatte, als sie ins Zimmer trat. Um Viertel nach elf Uhr war sie hinuntergegangen, um Tee zu trinken und etwas zu essen. Danach hatte sie im anderen Flügel gearbeitet. Auf die Frage des Polizeichefs, in welcher Reihenfolge sie die Zimmer in Ordnung gebracht habe, antwortete sie:
«Erst Miss Lindas Zimmer, dann die beiden Badezimmer, danach Mrs Marshalls und ihr Privatbad, Captain Marshalls, Mr und Mrs Redferns, ebenfalls mit Privatbad, Miss Darnleys, die auch ein eigenes Bad hat. Captain Marshalls und Miss Marshalls Zimmer haben kein Bad.»
Während sie in Miss Darnleys Zimmer war, hatte sie niemand draußen vorbeigehen hören, aber es war sehr gut möglich, dass man niemand bemerkte, wenn derjenige leise war.
Dann kam Weston auf Mrs Marshall selbst zu sprechen.
Nein, Mrs Marshall habe nicht zu den Gästen gehört, die früh aufstanden. Sie, Gladys Narracott, sei erstaunt gewesen, dass die Tür offen gewesen und Mrs Marshall schon kurz nach zehn hinuntergegangen sei. Das sei sehr ungewöhnlich gewesen.
«Frühstückte Mrs Marshall immer im Bett?»
«Ja, Sir, immer. Aber nicht viel. Nur Tee und Orangensaft und eine Scheibe Toast. Sie achtete auf ihr Gewicht, wie viele Frauen.»
Nein, ihr sei heute Morgen in Mrs Marshalls Benehmen nichts Besonderes aufgefallen. Sie sei wie immer gewesen. «Was hielten Sie von ihr, Mademoiselle?», fragte Poirot.
Gladys Narracott starrte ihn verblüfft an. «Na, dazu kann ich mich wohl kaum äußern, Sir», meinte sie.
«Doch, doch, das müssen Sie. Wir sind neugierig – sehr neugierig, was für einen Eindruck Sie von ihr hatten.»
Gladys warf dem Polizeichef einen etwas unbehaglichen Blick zu. Weston bemühte sich, ein verständnisvolles Gesicht zu machen, obwohl er in Wirklichkeit über die Methoden seines ausländischen Kollegen etwas verlegen war. Er sagte: «Hm, ja, selbstverständlich. Erzählen Sie!»
Zum ersten Mal, seit sie ausgefragt wurde, verließ Gladys Narracott ihre Sicherheit. Ihre Finger spielten nervös mit dem buntbedruckten Kleid.
«Na ja», begann sie, «Mrs Marshall war nicht gerade das, was man eine Dame nennen würde. Ich meine, sie war eher eine Schauspielerin.»
«Sie war ja auch Schauspielerin», bemerkte Weston.
«Das sagte ich gerade, Sir. Sie tat nur das, wozu sie Lust hatte. Sie – also, sie nahm sich zum Beispiel nicht die Mühe, höflich zu sein, wenn sie nicht höflich sein mochte. Im einen Moment war sie nichts als Freundlichkeit, und im nächsten, wenn sie etwas nicht fand oder die Wäsche nicht rechtzeitig aus der Wäscherei zurückkam, konnte sie richtig gemein werden. Keiner von uns mochte sie besonders. Sie hatte schöne Kleider, und natürlich war sie eine sehr schöne Frau, und deshalb war es ja nur verständlich, dass sie von allen bewundert wurde.»
«Es tut mir Leid, wenn ich Ihnen diese Frage stelle, aber sie ist sehr wichtig: Können Sie uns sagen, wie es zwischen ihr und ihrem Mann stand?»
Gladys Narracott zögerte ein paar Augenblicke. «Sie glauben doch nicht…», stotterte sie dann, «es war doch nicht – glauben Sie, dass er es war?»
«Glauben Sie’s denn?», fragte Poirot rasch dazwischen.
«Ach, der Gedanke gefällt mir nicht. Er ist ein so netter Mensch, so was könnte er nie tun. Da bin ich sicher.»
«Aber ganz überzeugt sind Sie doch nicht. Ich merke es an Ihrer Stimme.»
«Man liest es ja immer wieder in der Zeitung», sagte Gladys zögernd. «Aus Eifersucht. Wenn es jemand anders gab – und alle Welt redete natürlich davon: über sie und Mr Redfern,
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