Das Böse unter der Sonne
blickte ich hin und wieder von meinem Buch auf, aber ich erinnere mich, dass das Meer immer glatt und leer war.»
«Haben Sie Mr Redfern und Miss Brewster bemerkt, als sie vorbeiruderten?»
«Nein.»
«Sie kannten Mrs Marshall, soviel ich weiß?»
«Captain Marshall ist ein alter Freund der Familie. Seine Familie und meine waren Nachbarn. Aber ich hatte ihn viele Jahre nicht gesehen, mehr als zwölf Jahre nicht.»
«Und Mrs Marshall?»
«Ich habe kaum je ein Wort mit ihr gewechselt, bis ich sie hier wiedertraf.»
«Hatten Sie den Eindruck, dass Captain Marshall und seine Frau gut miteinander auskamen?»
«Sie verstanden sich glänzend, soweit ich das beurteilen kann.»
«Liebte Captain Marshall seine Frau?»
«Vermutlich», antwortete Rosamund. «Eigentlich kann ich Ihnen darüber nichts Genaueres sagen. Captain Marshall ist ein eher konservativer Mann. Er hat nicht die Angewohnheit, seine Liebesschwüre hinauszuposaunen, wie so viele moderne Männer.»
«Mochten Sie Mrs Marshall?»
«Nein.» Sie sagte es ruhig und leise. Es klang so, wie es klingen sollte – die einfache Feststellung einer Tatsache.
«Warum mochten Sie sie nicht?»
Etwas wie ein Lächeln erschien auf Rosamunds Gesicht. «Sicherlich haben Sie herausgefunden, dass Arlena Marshall bei ihren Geschlechtsgenossinnen nicht sehr beliebt war? Frauen fand sie tödlich langweilig, und sie zeigte das auch. Trotzdem hätte ich sie gern angezogen. Sie besaß einen ausgezeichneten Geschmack. Sie trug immer das Richtige und konnte sich bewegen. Ich hätte sie gern als Kundin gehabt.»
«Gab sie viel für Kleider aus?»
«Das muss sie wohl. Aber sie besaß ja eigenes Geld, und Captain Marshall ist auch nicht unvermögend.»
«Haben Sie je davon gehört, dass Mrs Marshall erpresst wurde?»
Ein Ausdruck von größtem Erstaunen erschien auf Rosamunds sensiblem Gesicht. «Arlena soll erpresst worden sein?»
«Das scheint Sie zu überraschen.»
«Nun ja, eigentlich schon. Es kommt mir so unglaubwürdig vor.»
«Aber es wäre doch möglich?»
«Alles ist möglich, nicht wahr? Das merkt man ziemlich bald. Aber ich frage mich doch, weswegen jemand Arlena erpresst haben könnte.»
«Vermutlich gab es ein paar Dinge, die ihr Mann nicht erfahren sollte.»
«Ja, möglich.» Es klang zweifelnd. Dann sagte sie mit einem halben Lächeln: «Es mag skeptisch klingen, aber Arlena kannte keine Hemmungen. Sie tat, was sie wollte, und hielt nicht viel von Anstand.»
«Sie glauben also, dass ihr Mann Bescheid wusste – über den vertraulichen Umgang mit gewissen Leuten?»
Es entstand eine Pause. Rosamund runzelte die Stirn. Schließlich sagte sie zögernd: «Eigentlich weiß ich nicht genau, was ich glauben soll. Ich dachte immer, dass Kenneth Marshall seine Frau so nahm, wie sie war, dass er sich über sie keine Illusionen machte. Aber vielleicht stimmt das nicht.»
«Er hat ihr völlig vertraut?»
«Die Männer sind solche Dummköpfe!», rief Rosamund leicht erregt. «Und Kenneth Marshall ist so weltfremd, obwohl er nach außen hin kühl und unbeeindruckt tut. Möglich, dass er ihr blind vertraute. Er glaubte vielleicht, dass sie einfach nur bewundert wurde.»
«Und Sie kennen niemand – oder besser gesagt, Sie haben von niemand gehört, der Mrs Marshall gehasst haben könnte?»
Rosamund Darnley lächelte jetzt offen. «Nur neidische Ehefrauen. Und ich nehme an, dass ein Mann der Täter war, weil sie erwürgt wurde.»
«Ja.»
«Nein, mir fällt niemand ein», erwiderte Rosamund nachdenklich. «Aber wie sollte ich auch etwas wissen. Sie müssen jemand fragen, der näher mit ihr bekannt war als ich.»
«Vielen Dank, Miss Darnley.»
Rosamund wandte sich Hercule Poirot zu. «Haben Sie keine Fragen an mich, Monsieur Poirot?» Sie lächelte ihm leicht spöttisch zu.
Poirot schüttelte nur den Kopf und erwiderte: «Nein, mir fällt keine ein.»
Rosamund Darnley erhob sich und ging hinaus.
8
S ie standen in Arlena Marshalls Zimmer. Zwei große Fenstertüren führten auf einen Balkon, von dem man einen herrlichen Blick auf die Badebucht und das Meer hatte. Die Sonne schien ins Zimmer, und die Ansammlung von gläsernen Flaschen und Töpfchen auf dem Schminktisch funkelte in allen Regenbogenfarben.
Es sah aus wie in einem Schönheitssalon. Jede nur erdenkliche Art von Lotion und Creme schien vorhanden zu sein. Inspektor Colgate begann, Schubladen aufzuziehen und den Inhalt zu überprüfen.
Plötzlich grunzte er zufrieden. Er hatte ein Päckchen
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