Das Bourne Duell
musste, als sie es erfuhr, was ihm eine nicht geringe Genugtuung verschaffte.
Sein Vater hatte sich wahrscheinlich auf den Schock erst einmal eine Zigarre angezündet und dann seiner Frau die Schuld an dieser Enttäuschung gegeben, bevor er in seine Firma fuhr, eine Versicherungsgesellschaft, die er ebenso rücksichtslos wie erfolgreich leitete.
Halliday stellte fest, dass er seinen Bourbon ausgetrunken hatte, und winkte dem Kellner, um noch einen zu bestellen.
Die Zwillinge kamen im selben Moment wie sein Drink, und er bestellte ihnen sofort zwei Chocolate Martinis. Sie setzten sich links und rechts von ihm. Eine war grün gekleidet, die andere blau. Die in Grün war rothaarig, die andere blond. Zumindest heute. So waren sie nun einmal, Michelle und Mandy. Sie genossen es, manchmal ihre geradezu unheimliche Ähnlichkeit auszuspielen, betonten aber gleichzeitig ihre Unterschiede. Beide waren groß gewachsen, etwa eins achtzig, und mit sinnlichen Kurven ausgestattet. Sie hätten Models sein können, vielleicht sogar Schauspielerinnen, so perfekt, wie sie ihre Rollen spielten, doch sie waren weder eitel noch dumm. Michelle hatte theoretische Mathematik studiert, und Mandy arbeitete als Mikrobiologin im CDC, dem Center for Disease Control. Michelle hätte an so gut wie jeder Eliteuniversität im Land einen Lehrstuhl bekommen, doch sie arbeitete für die DARPA, die Defense Advanced Research Projects Agency, eine Forschungsagentur im Verteidigungsministerium, wo sie neue Verschlüsselungsalgorithmen entwickelte, die auch von den schnellsten Rechnern nicht zu knacken waren. Ihr letztes Werk arbeitete mit heuristischen Techniken und lernte aus jedem Versuch, es zu entschlüsseln, als wäre es ein intelligentes Wesen, das sich ständig weiterentwickelte.
Nie zuvor hatte es zwei so kluge Köpfe in so attraktiver, erotischer Gestalt gegeben, dachte Halliday, als der Kellner ihnen die Chocolate Martinis brachte. Sie erhoben ihre Gläser, um auf eine weitere gemeinsame Nacht zu trinken. Wenn sie nicht im Dienst waren, liebten die Mädchen Sex, Schokolade und Sex, in dieser Reihenfolge. Aber noch waren sie im Dienst.
»Was hältst du von dem Ring?«, fragte Halliday, zu Michelle gewandt.
»Ich könnte mehr sagen«, antwortete sie, »wenn ich den Ring selbst hätte, und nicht bloß ein paar Fotos.«
»Du hast ihn nun mal nicht – sag mir einfach, was du vermutest.«
Michelle nahm einen Schluck von ihrem Drink, so als bräuchte sie etwas Zeit, um ihre Gedanken so zu formulieren, dass auch Halliday sie verstehen konnte, der im Vergleich mit ihr und ihrer Zwillingsschwester ein geistiger Zwerg war.
»Ich halte es für wahrscheinlich, dass der Ring so etwas wie ein Schlüssel ist.«
Hallidays Interesse war augenblicklich geweckt. »Was heißt das genau?«
»Was ich gesagt habe. Die eigenartige Inschrift an der Innenseite des Rings kommt mir vor wie die Zacken eines Schlüssels.« Als sie Hallidays fragenden Blick sah, versuchte sie es anders. Sie zog einen Filzstift heraus und begann auf seiner Serviette zu zeichnen.
»Das ist ein gewöhnlicher Schlüssel für irgendein Schloss. Seine Zacken sind einzigartig. Die meisten Schlösser haben zwölf Stifte, sechs oben und sechs unten. Wenn man den Schlüssel ins Schloss steckt, dann heben die Zacken die Stifte so weit, dass das Schloss
aufgeht. Die Zeichen, die in den Ring eingraviert sind, funktionieren vielleicht genauso. Man steckt den Ring in das richtige Schloss – und Sesam, öffne dich.«
»Ist das möglich?«, fragte er.
»Alles ist möglich, Bud. Das weißt du doch.«
Halliday starrte ihre Zeichnung wie elektrisiert an. Ihre Theorie war schwer zu glauben, aber die Frau war ein echtes Genie. Er konnte es sich nicht leisten, irgendeine Theorie zu verwerfen, die sie aufstellte, auch wenn sie ihm noch so weit hergeholt erschien.
»Was haben wir eigentlich heute noch vor?«, fragte Mandy, sichtlich gelangweilt von dem Thema.
»Ich hab Hunger«, antwortete Michelle und steckte den Filzstift ein. »Ich habe den ganzen Tag nichts gegessen, nur einen uralten Snickers-Riegel, den ich in der Schublade gefunden hab. Die Schokolade war schon ganz weiß.«
»Trink erst mal aus«, sagte Halliday.
Sie machte einen Schmollmund. »Du weißt, wie ich werde, wenn ich auf leeren Magen trinke.«
Halliday lachte. »Das hab ich gehört, ja.«
»Und das stimmt auch«, sagte Mandy. Und mit einer ganz anderen Stimme, einer viel tieferen Singstimme, fügte sie hinzu: »Dat li’l
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