Das Bourne Duell
spürten. In diesem Moment war das das Heben und Senken ihrer Brust.
Der Namenlose betrachtete den Skorpion mit einer Mischung aus Ungeduld und Verachtung, weil sich das Tier nicht von der Stelle rührte. Es wusste offensichtlich nicht, wo es sich befand oder was es tun sollte. Da nahm der Mann seinen Kugelschreiber und schlug dem Skorpion damit auf den Kopf. Der plötzliche Angriff erschreckte das Tier und machte es wütend. Der Schwanz zuckte und stach zu, und Soraya stieß einen erschrockenen Laut aus. Der Namenlose trieb den Skorpion mit dem Kugelschreiber in den Käfig zurück. Er schloss die Tür und verriegelte sie.
»So«, sagte der Mann, »entweder wir warten, bis das Gift zu wirken beginnt, oder Sie sagen uns, wo wir Arkadin finden.«
»Selbst wenn ich’s wüsste, würde ich es euch nicht sagen.«
Er runzelte die Stirn. »Sie wollen es sich nicht noch mal überlegen?«
»Gehen Sie zum Teufel.«
Er nickte, als hätte er ihre Halsstarrigkeit vorhergesehen. »Es wird interessant sein, zu sehen, wie lange Sie durchhalten, wenn der Skorpion Sie acht- oder neunmal gestochen hat.«
Er gab dem Mann neben ihm ein Zeichen, der sich anschickte, den Käfig zu öffnen, als er plötzlich mit einem lauten Knall zurückgerissen wurde. Soraya drehte den Kopf und sah ihn blutüberströmt am Boden liegen; seine ganze Stirn war weggeschossen. Noch mehr Schüsse fielen, und als sie sich umblickte, sah sie auch die anderen Männer am Boden liegen. Der Namenlose hielt sich die rechte Schulter und biss sich vor Schmerz auf die Lippe. Zwei Beine in staubigen Stiefeln traten in ihr Blickfeld.
»Wer …?« Soraya blickte auf, doch die ersten Symptome des Skorpionbisses und die blendende Sonne verhinderten, dass sie etwas erkennen konnte. Ihr Herz pochte so heftig, dass es ihre Brust zu sprengen drohte, und ihr ganzer Körper pulsierte wie in hohem Fieber. »Wer …?«
Die männliche Gestalt hockte sich zu ihr. Mit seinem sonnenverbrannten Handrücken schob er den Käfig von ihrer Brust. Im nächsten Augenblick spürte sie, wie sich ihre Fesseln lockerten, und sie schüttelte sie ab. Als sie mit zusammengekniffenen Augen nach oben blickte, hielt ihr jemand einen Cowboyhut über den Kopf; die breite Krempe schirmte sie vor dem grellen Sonnenlicht ab.
»Contreras«, sagte sie, als sie sein faltiges Gesicht sah.
»Ich heiße Antonio.« Er legte einen Arm unter ihre Schultern und half ihr auf. »Sagen Sie Antonio zu mir.«
Soraya begann zu weinen.
Antonio gab ihr seine Waffe, eine interessante Sonderanfertigung; es handelte sich um eine Taurus Tracker .44 Magnum, eine Handfeuerwaffe für Jäger, mit einem hölzernen Gewehrkolben. Sie nahm die Taurus, und er half ihr auf die Beine. Der Namenlose lag am Boden und sah mit zusammengebissenen Zähnen zu ihr auf. Sie fühlte sich wackelig auf den Beinen, und ihr Kopf brannte wie Feuer. Der Namenlose starrte sie unverwandt an. Ihr Zeigefinger krümmte sich um den Abzug. Sie zielte und drückte ab. Wie von unsichtbaren Schnüren hochgerissen, krümmte sich der Namenlose, dann lag er reglos da, und in seinen toten Augen spiegelte sich das Licht der aufgehenden Sonne.
Sie hörte auf zu weinen.
ACHTZEHN
Coven ging mit einer beängstigenden Ruhe vor. Nachdem er Chrissie und Scarlett gefesselt hatte, hatte er sich erst einmal mit dem Haus vertraut gemacht. Chrissies Vater hatte er gefesselt und geknebelt in einen Wandschrank gesteckt und sie dann für vierzig Minuten allein gelassen, um in einem Baumarkt den größten Generator zu kaufen, den er allein tragen konnte. Als er zurückkam, sah er gleich nach seinen Gefangenen. Chrissie und ihre Tochter waren noch genauso fest ans Bett gefesselt wie vorher. Ihr Vater schlief entweder oder war bewusstlos, was Coven nicht weiter kümmerte. Dann trug er den Generator in den Keller und schloss ihn ohne Probleme an die Hausverteilung an – für den Fall, dass die Lichter ausgingen. Er machte einen Test. Das Ding tickte wie eine altersschwache Standuhr; es war eindeutig zu klein für diese Aufgabe. Wahrscheinlich würde er nicht mehr als zehn Minuten Licht haben, bevor der Generator den Geist aufgab. Nun, das musste reichen.
Dann ging er nach oben und betrachtete Chrissie und Scarlett, während er eine Zigarette rauchte. Die Tochter war zwar höchstens zwölf Jahre alt, doch man sah jetzt schon, dass sie hübscher als ihre Mutter war.
Wenn er ein anderer Mensch wäre, dann würde er sich an diesem jungen, zarten Körper vergreifen, aber er
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