Das Bourne Imperium
einen Namen, mit dem sich ein Gesicht verband. Sie entdeckte drei, aber die Bilder, die sich ihr darstellten, waren verschwommen, die Gesichtszüge unklar. Dann sprangen ihr auf der zwölften Seite ein Gesicht und eine Stimme entgegen, als sie den Namen las. Catherine Staples.
Die eiskalte Catherine. Der Spitzname war unfair und lieferte kein korrektes Bild der Frau. Marie hatte Catherine Staples während ihrer Tätigkeit im Schatzamt in Ottawa kennen gelernt, als sie und die Kollegen in ihrer Abteilung das Diplomatische Corps vor Übersee-Einsätzen instruierten. Staples war zweimal bei ihnen gewesen, einmal, um einen Auffrischungskurs über den Gemeinsamen Markt Europas durchzumachen … und das zweite Mal – ja, natürlich – für Hongkong! Das lag dreizehn oder vierzehn Monate zurück, und obwohl man ihre Freundschaft nicht gerade als eng bezeichnen konnte – vier oder fünf gemeinsam eingenommene Mittagessen und ein Abendessen, das Catherine zubereitet hatte, und dann eine Gegeneinladung seitens Maries –, hatte sie doch eine ganze Menge über die Frau erfahren, die ihre Arbeit so gut machte, dass sie darin die meisten Männer übertraf.
Zuallererst hatte sie ihr schneller Aufstieg in der Abteilung für Auswärtige Angelegenheiten ihre Ehe gekostet. Sie hatte für den Rest ihres Lebens der Ehe abgeschworen, hatte sie erklärt, da die Reisetätigkeit und die unsinnige Arbeitszeit in ihrem Beruf für jeden Mann, mit dem zusammenzuleben es sich lohnte, unerträglich wären. Staples war jetzt Mitte der Fünfzig, eine schlanke, energische Frau von mittlerer Größe, die sich modisch, aber einfach kleidete. Zu Männern und Frauen, die für die Arbeit, die man ihnen ohne eigenen Ehrgeiz zugeteilt hatte, nicht qualifiziert waren, konnte sie freundlich, ja liebenswürdig sein, dafür aber zu den Verantwortlichen, gleich welchen Ranges, von brutaler Härte. Scheinheiligkeit jeder Art war ihr verhasst. Wenn man Catherine Staples mit einem Schlagwort charakterisieren wollte, dann war dies »hart, aber gerecht« … Aber dann war sie auch oft eine sehr amüsante Person, die
durchaus imstande war, sich über sich selbst lustig zu machen. Marie hoffte, dass sie in Hongkong fair sein würde.
»Da ist kein Name, der mir vertraut klingt«, sagte Marie, stand auf und brachte der Empfangsdame das Buch zurück. »Ich komme mir so dumm vor.«
»Haben Sie die leiseste Ahnung, wie er aussieht?«
»Danach habe ich nie gefragt.«
»Tut mir Leid.«
»Mir noch viel mehr. Ich muss jetzt ein sehr peinliches Telefonat mit Vancouver führen … oh, einen Namen habe ich entdeckt. Der hat nichts mit meinem Vetter zu tun, aber ich glaube, es ist die Freundin einer Freundin. Eine Frau namens Staples.«
»Unsere Katharina die Große? Ja, die ist allerdings hier, obwohl es eine Menge Leute hier gibt, die gar nichts dagegen einzuwenden hätten, wenn man sie zur Botschafterin beförderte und nach Osteuropa schickte – sie macht sie nervös. Die Frau ist klasse.«
»Oh, Sie meinen, sie ist jetzt im Haus?«
»Keine zehn Meter entfernt. Wollen Sie mir sagen, wie Ihre Freundin heißt, dann kann ich ja fragen, ob sie Zeit hat?«
Die Versuchung für Marie war groß, aber auf derart offiziellem Weg ging gar nichts. Wenn sich alles so entwickelt hatte, wie Marie glaubte, und man die befreundeten Konsulate bereits alarmiert hatte, dann könnte Catherine Staples sich genötigt sehen, mit den Behörden zu kooperieren. Wahrscheinlich würde sie das nicht tun, andererseits musste sie auch die Integrität ihres Amtes wahren. Botschaften und Konsulate waren darauf angewiesen, sich gegenseitig Gefälligkeiten zu erweisen. Sie brauchte Zeit mit Catherine, und zwar nicht in einer offiziellen Umgebung. »Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen«, sagte Marie zu der Sekretärin. »Meine Freundin würde sicher ganz aus dem Häuschen geraten … Augenblick, haben Sie Katharina gesagt?«
»Ja. Katharina alias Catherine Staples. Glauben Sie mir, sie ist einmalig.«
»Das glaube ich Ihnen sofort, aber die Freundin meiner Bekannten heißt Christine. Du lieber Gott, heute habe ich aber wirklich nicht meinen besten Tag. Sie sind sehr liebenswürdig gewesen, also will ich Ihnen nicht länger auf den Füßen stehen.«
»War mir doch ein Vergnügen, liebes Kind. Sie sollten mal sehen, was da für Leute kommen, die sich einbilden, sie hätten eine Cartier-Uhr für ein Butterbrot gekauft, bis sie dann stehen bleibt und ein Juwelier ihnen sagt, dass die Uhr
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