Das Bourne Ultimatum
hörte Bourne über Funk das Zeichen, dass der Verbindungsmann des Schakals aufgetaucht sei: »Lassen Sie mich in Ruhe!«, rief Fontaine. »Ich will Sie nicht! Wo ist die andere Schwester?«
Die beiden Schwarzen hatten sich, Seite an Seite, an der Mauer niedergeduckt. Jetzt drehten sie sich um und sahen zu Jason hinüber. Ihr Ausdruck in dem geisterhaften Licht sagte ihm, was er nur zu gut wusste. Von diesem Augenblick an lagen alle Entscheidungen bei ihm. Sie hatten ihn geführt, ihn zu seinem Feind eskortiert. Der Rest war seine Sache.
Unerwartetes verwirrte Bourne selten; jetzt aber doch. Hatte Fontaine einen Fehler gemacht? Hatte er den Wächter des
Hotels vergessen und irrtümlich angenommen, dass er der Mann des Schakals sei? Vielleicht hatte der Alte eine überraschte Reaktion des Wächters missinterpretiert.
Alles war denkbar, aber bei seiner Erfahrung, bei seinem Verstand! Ein solcher Fehler war wenig wahrscheinlich.
Dann dachte Bourne an eine andere Möglichkeit, und die war Ekel erregend. War der Wächter getötet oder bestochen oder durch einen anderen ersetzt worden? Carlos war ein Meister darin, Leute umzudrehen. Es wurde erzählt, dass er seinen Vertrag zur Ermordung von Anwar El Sadat erfüllt habe, ohne einen Schuss abzufeuern, indem er lediglich die Sicherheitsbeamten des ägyptischen Präsidenten durch unerfahrene Rekruten ersetzt hatte. Das in Kairo dafür ausgegebene Geld kam hundertfach von den verschiedenen antiisraelischen Bruderschaften wieder herein. Wenn das stimmte, musste das hier auf Tranquility ein Kinderspiel für ihn sein.
Jason sprang auf, griff nach der Mauerkrone und zog sich langsam und unter Schmerzen nach oben, langte erst mit einem, dann mit dem anderen Arm hinüber zur nächsten Kante, bis er Halt fand. Was er sah, verblüffte ihn.
Die junge Schwarze war weg, Fontaine stand unbeweglich da, mit ungläubig aufgerissenen Augen, als ein anderer alter Mann in einem braunen Gabardine-Anzug auf ihn zukam und die Arme um den alten Helden von Frankreich schlang. Fontaine stieß den Mann verwirrt zurück. Die Worte kamen per Funk aus Bournes Tasche.
»Claude! Quelle secousse! Vous êtes ici!«
Der alte Freund antwortete mit melodischer Stimme auf französisch: »Ja, ich bin hier. Dank Monseigneur kann ich meine Schwester ein letztes Mal sehen und dich, meinen Freund, ihren armen Mann. Ich bin hier und bleibe bei dir!«
»Er hat dich hergebracht? Aber natürlich er!«
»Ich werde dich zu ihm bringen. Der große Mann wünscht dich zu sprechen.«
»Weißt du, was du tust? Was du getan hast?«
»Ich bin bei dir, bei ihr. Etwas anderes zählt nicht.«
»Sie ist tot! Sie hat sich in der vergangenen Nacht das Leben genommen! Er wollte uns beide umbringen.«
Stell das Funkgerät ab! schrie Bourne in Gedanken. Stell es ab! Es war zu spät. Der linke Türflügel der Kapelle öffnete sich, und der Umriss eines Menschen trat in den Flutlichtkorridor vor der Kirche. Er war jung, muskulös und blond, mit einem dummen Gesicht und steifer Haltung. Hatte der Schakal sich einen jugendlichen Nachfolger gewählt?
»Komm mit mir, bitte«, sagte der blonde Mann. Sein Französisch war fließend, aber von eisiger Höflichkeit. »Du«, fügte er hinzu und meinte den alten Mann im braunen Gabardine-Anzug. »Du bleibst, wo du bist. Beim leisesten Geräusch schießt du... Nimm die Pistole heraus. Behalte sie in der Hand.«
»Oui, monsieur.«
Jason beobachtete hilflos, wie Fontaine in die Kapelle eskortiert wurde. Aus seiner Tasche kam ein Durcheinander von Geräuschen, dann ein Knall. Sie hatten das Funkgerät gefunden und zerstört. Dennoch stimmte irgendetwas nicht; etwas war nicht im Gleichgewicht - oder vielleicht zu symmetrisch. Es machte keinen Sinn, den Ort einer fehlgeschlagenen Falle ein zweites Mal zu benutzen, keinerlei Sinn! Das Erscheinen von Fontaines Schwager war ein außerordentlicher Schachzug, dem Schakal angemessen, ein wirklich unerwarteter Trick in diesem verwirrenden Spiel, aber der Schauplatz war falsch, nicht noch einmal die Kapelle. Es sah zu sehr nach Ordnung, nach Wiederholung aus, es war zu offensichtlich. Falsch.
Und deshalb richtig?, erwog Bourne. War es die unlogische Logik des Mörders, der hundert Sonderabteilungen internationaler Geheimdienste beinahe dreißig Jahre lang hinters Licht geführt hatte? »Das würde er nicht tun - es ist verrückt!« - »O ja, er könnte, weil er weiß, wir denken, dass es verrückt wäre.« War der Schakal in der Kapelle? Wenn
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