Das Bourne Ultimatum
ein zorniger junger Mann, der glaubte, dieses Land verwahrlose vollkommen. Ich stamme aus einer privilegierten Familie - Geld, Einfluss, eine teure Privatschule -, das garantierte mir - mir, nicht dem schwarzen Kind in den Straßen von Philadelphia oder Harlem - automatisch
den Zugang zur Uni in Annapolis. Ich dachte einfach, dass ich diese Privilegien auch verdienen müsse. Ich musste zeigen, dass Leute wie ich nicht einfach nur ihre Vorteile ausnutzten, ihren Verantwortungen aber aus dem Weg zu gehen.«
» Noblesse oblige - Adel verpflichtet.«
»Das ist ungerecht«, protestierte Holland.
»Doch ist es so, in einem ganz realen Sinn. Auf griechisch heißt aristo der Beste, und kratia ist das Wort für Herrschaft. Im alten Athen führten solche jungen Männer ihre Armeen mit hoch erhobenen Schwertern an, standen nicht hinten, sondern in erster Reihe, um ihren Truppen zu beweisen, dass sie sich zusammen mit den Niedrigsten unter ihnen opfern würden, denn die Niedrigsten standen unter ihrem Befehl, dem Befehl der Edelsten.«
Peter Holland lehnte den Kopf nach hinten und schloss halb die Augen. »Vielleicht gehörte das auch dazu, ich bin mir nicht sicher - gar nicht sicher. Wir stellten so viele Fragen: Wofür? Pork Chop Hill? Irgendein unbekanntes, nutzloses Gelände im Mekongdelta? Warum? Um Himmels willen, warum? Männer wurden erschossen, ihre Bäuche und Köpfe weggeblasen von einem Feind zwei Schritt vor ihnen, einem, der den Dschungel kannte, wie sie ihn nicht kannten. Was für eine Art Krieg war das?... Wenn nicht Männer wie ich zu den Jungs hingegangen wären und gesagt hätten, ›Schaut her, hier bin ich, ich bin bei euch‹, wie lange glaubst du wohl, hätte das Ganze gedauert? Es hätte Massenrevolten gegeben, und vielleicht hätte es welche geben sollen. Diese Jungs waren das, was manche Leute Nigger und Puertos und Schwachköpfe nennen. Die Privilegierten hatten Druckposten, bei denen sie sich nicht die Hände schmutzig machen mussten - oder Jobs, die gewährleisteten, dass sie nicht in irgendwelche Kämpfe verwickelt wurden. Das hatten die anderen nicht. Und wenn mein Mit-ihnen-Sein etwas bedeutete, dann das, dass es das Gescheiteste war, was ich je getan habe.«
»Tut mir Leid, Peter, ich wollte keine alten Geschichten aufrühren, wirklich nicht. Es ist schon verrückt, wie alles sich ineinander fügt und das eine das andere gebiert, nicht wahr?
Wie hast du es genannt? Den Ringelreigen der Schuld. Wo hört er auf?«
»Hier und jetzt«, sagte Holland und richtete sich in seinem Sitz auf, Rücken und Schultern gestreckt. Er griff zum Autotelefon, gab zwei Nummern ein und sagte: »Lassen Sie uns bitte in Vienna heraus. Und danach fahren Sie ins nächste China-Restaurant und bringen uns das Beste, was sie haben...«
Hollands Prophezeiung erwies sich zumindest zur Hälfte als richtig. Das erste Anhören von Panovs Sitzung war quälend, seine Stimme niederschmetternd, wobei der emotionale Gehalt die Informationen überlagerte, besonders für denjenigen, der den Psychiater kannte. Das zweite Anhören rief eine unmittelbare Konzentration hervor, die zweifelsfrei durch den Schmerz, den sie mit anhörten, gefördert wurde. Es gab keine Zeit, persönlichen Gefühlen nachzugeben, die Information wurde plötzlich alles. Beide Männer machten sich auf ihren Blöcken ausführliche Notizen, wobei sie das Band oft anhielten und einzelne Passagen wiederholten. Nach dem vierten Mal hatten Alex und Peter Holland jeder seine dreißig bis vierzig Seiten Notizen. Sie verbrachten noch eine Stunde schweigend, in der jeder seine Analyse durchging.
»Bist du fertig?«, fragte der CIA-Direktor von der Couch her mit dem Bleistift in der Hand.
»Sicher«, sagte Conklin, der am Tisch saß, neben sich die Schreibmaschine.
»Irgendwelche einleitenden Bemerkungen?«
»Ja«, meinte Alex. »Neunundneunzig Komma vierundvierzig Prozent von dem, was wir gehört haben, sind unergiebig, außer, dass sie uns zeigen, was für ein außerordentlicher Mann dieser Walsh ist.«
»Stimmt«, sagte Holland. »Walsh ist gut.«
»Mehr als das, aber darum geht es uns hier nicht, sondern nur darum, was er aus Mo rausgeholt hat... Und dabei ist es nicht so wichtig, was Panov enthüllt hat, weil wir davon ausgehen müssen, dass er fast alles enthüllt hat, was ich ihm gesagt habe, sondern wichtig ist, was er gehört hat.« Conklin
zog einige Seiten heraus. »Hier ist ein Beispiel: ›Die Familie wird erfreut sein... Unser supremo wird uns
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