Das Bourne-Vermächtnis
du eine Kombizange?«, fragte er.
Wieder der seltsame Blick, bevor Annaka einen nicht sehr tiefen Schrank öffnete. Dann gab sie ihm die Zange.
Er legte das winzige Quadrat zwischen die geriffelten Enden und drückte kräftig zu. Das Quadrat zersplitterte.
»Ein elektronischer Minisender«, sagte er.
»Was?« Neugier hatte sich in Verständnislosigkeit verwandelt.
»Deshalb ist der Mann vom Dach hier eingebrochen –
um die Wanze in der Lampe zurückzulassen. Er hat uns nicht nur beobachtet, sondern auch belauscht.«
Sie sah sich in dem behaglichen Raum um und fuhr
zusammen. »Großer Gott, jetzt werde ich mich hier nie mehr richtig wohl fühlen.« Dann wandte sie sich an Bourne. »Was will er überhaupt? Wieso versucht er, jedes unserer Worte aufzuzeichnen?« Sie schnaubte, als ihr die Erklärung einfiel. »Alles wegen Dr. Schiffer, stimmt’s?«
»Möglich«, sagte Bourne. »Ich weiß es nicht.« Ihm wurde plötzlich schwindlig, und er sank einer Ohnmacht nahe aufs Sofa.
Annaka lief ins Bad, um ein Desinfektionsmittel und Verbandzeug zu holen. Er lehnte den Kopf nach hinten in die Kissen und versuchte, nicht mehr daran zu denken, was vorhin passiert war. Er musste sich abschotten, seine Konzentration bewahren und fest im Auge behalten, was als Nächstes getan werden musste.
Als sie zurückkam, trug sie ein Tablett mit einer flachen Porzellanschale mit heißem Wasser, einem Schwamm, Papierhandtüchern, einem Eisbeutel, einer Flasche Desinfektionslösung, Verbandzeug und einem Glas Wasser.
»Jason?«
Er öffnete die Augen.
Sie gab ihm das Glas. Als Bourne es geleert hatte, hielt sie ihm den Eisbeutel hin. »Deine Backe ist schon ganz dick.«
Er legte den Eisbeutel darauf und fühlte, wie die Schmerzen sich langsam in Taubheit verwandelten. Als er jedoch rasch Luft holte, spürte er einen Stich in der Seite, weil er den Oberkörper verdrehte, um das Glas auf den Beistelltisch zu stellen. Er drehte sich langsam und steif wieder um und dachte an Joshua, der zwar nicht wirklich, aber in seiner Erinnerung wiederauferstanden war. Vielleicht empfand er deshalb so blinde Wut gegen Chan, denn Chan hatte die Gespenster einer schrecklichen Vergangenheit wachgerufen und damit ein Wesen ins Licht gerückt, das David Webb so lieb war, dass es ihn in seinen beiden Persönlichkeiten verfolgt hatte.
Als er Annaka beobachtete, während sie sein Gesicht von angetrocknetem Blut säuberte, erinnerte er sich an ihren kurzen Dialog im Café. Er hatte von ihrem Vater gesprochen, und sie hatte fast die Nerven verloren, und er wusste jetzt, dass er dieses Thema nochmals anschneiden musste. Er war ein Vater, der durch Gewalt seine Familie verloren hatte. Sie war eine Tochter, die durch Gewalt ihren Vater verloren hatte.
»Annaka«, begann er ruhig, »ich weiß, dass dieses Thema für dich schmerzlich ist, aber ich wüsste sehr gern mehr über deinen Vater.« Er merkte, dass sie sich versteifte, sprach aber trotzdem weiter. »Kannst du über ihn reden?«
»Was möchtest du denn wissen? Wie Alexej und er
sich kennen gelernt haben, nehme ich an.«
Sie konzentrierte sich auf ihre Tätigkeit, aber er fragte sich, ob sie seinem Blick absichtlich auswich.
»Ich dachte mehr an dein Verhältnis zu ihm.«
Ein Schatten glitt über ihr Gesicht. »Das ist eine seltsame – und recht intime – Frage, findest du nicht auch?«
»Das hängt mit meiner Vergangenheit zusammen,
weißt du …« Bourne zuckte hilflos mit den Schultern. Er konnte weder lügen noch die volle Wahrheit sagen.
»An die du dich nur bruchstückhaft erinnerst.« Sie nickte. »Ja, ich verstehe.« Als sie den Schwamm ausdrückte, verfärbte das Wasser in der Schale sich rosa. »Also, Janos Vadas war der perfekte Vater. Er hat mich als Baby gewickelt, mir später Gutenachtgeschichten vorgelesen, mir vorgesungen, wenn ich krank war. Er war an jedem Geburtstag und zu allen speziellen Anlässen da.
Ich weiß ehrlich nicht, wie er das geschafft hat.« Sie drückte den Schwamm erneut aus; Bourne hatte wieder zu bluten begonnen. »Ich habe für ihn immer an erster Stelle gestanden. Unverrückbar. Und er ist nie müde geworden, mir zu sagen, wie sehr er mich liebte.«
»Was für ein glückliches Kind du warst!«
»Glücklicher als alle meine Freundinnen, glücklicher als alle, die ich kenne.« Sie konzentrierte sich noch mehr darauf, die Blutung zu stillen.
Bourne war in eine Art Halbtrance verfallen. Er dachte an Joshua – und den Rest seiner Familie –, an all die
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