Das Bourne-Vermächtnis
ächzend, den Aufzugschacht hinunterzustürzen.
Spalkos Telefon klingelte, und er trat aus der Folterkammer. Sonnenlicht fiel durch die Fenster seines Schlafzimmers, und er spürte die Wärme auf dem Gesicht, als er es durchquerte.
»Ja?«
Eine Stimme sprach in sein Ohr. Die Worte beschleunigten seinen Puls. Er war hier! Chan war hier! Seine Hand ballte sich zur Faust. Jetzt hatte er sie beide. Seine Arbeit hier war fast getan. Er beorderte seine Männer in den zweiten Stock, dann rief er die Sicherheitszentrale an und ordnete eine Feuerlöschübung an, zu der gehörte, dass das Gebäude in kürzester Zeit von allen gewöhnlichen Humanistas-Mitarbeitern geräumt wurde. Binnen zwanzig Sekunden schrillte der Feueralarm los, und überall im Gebäude verließen Männer und Frauen ihre Büros und begaben sich rasch, aber nicht in Panik zu den Treppenhäusern, von denen aus sie ins Freie geführt wurden.
Spalko hatte inzwischen seinen Fahrer und seinen Piloten angerufen, wobei er Letzteren anwies, seinen Privatjet, der im Humanistas-Hangar auf dem Flughafen Ferihegy auf ihn wartete, startbereit zu machen. Wie er schon früher angeordnet hatte, war die Maschine schon inspiziert und betankt; auch ein Flugplan war bereits fertig.
Jetzt musste er noch ein Telefongespräch führen, bevor er zu Jason Bourne zurückkehrte.
»Chan ist im Gebäude«, sagte er, als Annaka sich meldete. »Er sitzt im Aufzug fest, und ich habe Männer eingesetzt, die ihn abfangen, falls ihm die Flucht gelingt, aber du kennst ihn besser als alle anderen.« Er grunzte, als er ihre Antwort hörte. »Was du sagst, ist keine Überraschung. Erledige die Sache, wie du’s für richtig hältst.«
Chan schlug mit dem Handballen auf den Nothaltknopf, aber der Aufzug reagierte nicht, sondern stürzte weiter in die Tiefe. Mit einem Werkzeug aus Oszkars Lederetui stemmte er die Metallabdeckung über den Etagenknöpfen ab. Dahinter befand sich ein Gewirr von Drähten, aber er sah auf einen Blick, dass die zweipolige Leitung zum Nothaltknopf herausgezogen war. Als er die Enden gewandt wieder in die Buchsen steckte, kam die Kabine sofort mit dem Kreischen von funkensprühendem Metall zum Stehen, als die Notbremse griff. Während sie zwischen dem zweiten und dritten Stock festhing, arbeitete Chan mit atemloser Intensität weiter an der Verdrahtung.
Im dritten Stock erreichten Spalkos Männer die äußere Aufzugtür, die sie mit einem Feuerwehrschlüssel entriegelten. Dann stemmten sie die Tür auf, sodass der Aufzugschacht zugänglich war. Unmittelbar über sich konnten sie den Boden der stecken gebliebenen Kabine sehen.
Sie hatten ihre Befehle; sie wussten, was sie zu tun hatten. Sie hoben ihre Maschinenpistolen, eröffneten das Feuer und durchsiebten das untere Drittel der Aufzugkabine. Diese konzentrierte Feuerkraft konnte niemand überleben.
Chan hatte sich mit gespreizten Armen und Beinen in der Aussparung des Fahrstuhlschachts verkeilt und beobachtete, wie das untere Drittel der Kabine wegfiel. Gegen Querschläger schützten ihn die Kabinentür und der Schacht selbst. Durch seinen Eingriff in die Verdrahtung war es ihm gelungen, die Tür gerade so weit zu öffnen, dass er sich hinauszwängen konnte. Er hatte sich in der Wandaussparung hochgestemmt und befand sich ungefähr auf Höhe der Kabinendecke, als der Geschosshagel einsetzte.
Das Echo der durch den Aufzugschacht hämmernden
Schüsse war kaum verhallt, als er ein Summen hörte, als schwärme ein ganzer Bienenschwarm aus seinem Stock. Er hob den Kopf und sah zwei Kletterseile, die sich aus einem oberen Stockwerk durch den Schacht herabschlängelten.
Im nächsten Augenblick kamen zwei schwer bewaffnete Männer in Kampfanzügen Hand über Hand die Seile
heruntergeklettert.
Einer der beiden sah ihn und schwang seine Maschinenpistole in seine Richtung. Chan gab einen Schuss aus der Luftpistole ab, und die Waffe glitt aus den tauben Fingern des Angreifers. Als der andere auf ihn zielte, schnellte Chan sich durch die Luft und klammerte sich an den Bewusstlosen, der nun in seinem Abseilgurt am Seil hing. Der zweite Mann, mit seinem Schutzhelm gesichtslos und anonym, schoss auf Chan, der den Bewusstlosen zwischen sie brachte und als Schutzschild benützte. Mit einem gut gezielten Fußtritt trat er dem Schützen die Maschinenpistole aus den Händen.
Sie landeten miteinander auf dem Kabinendach. Der kleine farblose Würfel aus tödlichem C4 war mit Klebstreifen mitten auf der Dachluke befestigt, wo
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