Das Bourne-Vermächtnis
um sich rechts neben Bourne zu setzen, damit er den Blick von der Straße nehmen musste, wenn er sie im Auge behalten wollte.
Aber bei seinem gegenwärtigen Tempo würde er sich das nicht leisten können. Sie fuhr ihr Fenster herunter und trat das Gaspedal durch, so dass der Wagen in den vom Wind getriebenen Regen vorwärts schoss.
»Stopp!«, rief sie laut. »Sûreté Nationale! Halt, oder ich schieße!«
Der Kurier ignorierte sie. Sie zog ihre Dienstwaffe und zielte damit auf seinen Kopf. Ihr am Ellbogen abgewinkelter Arm blieb unerschütterlich ruhig. Sie visierte über Kimme und Korn, zielte auf die Vorderkante seiner Silhouette. Dann drückte sie ab.
Im selben Augenblick brach die Voxan jedoch nach
links aus, überquerte die linke Spur vor einem Auto, das eben zum Überholen ansetzte, sprang über den niedrigen Fahrbahnteiler und fuhr zwischen dem Gegenverkehr weiter.
»Großer Gott!«, flüsterte Bérard erschrocken. »Er spielt Geisterfahrer!«
Als sie den Gehsteig verließ, um die Verfolgung aufzunehmen, sah sie, wie die Voxan sich durch den von der A1 kommenden Verkehr schlängelte. Reifen quietschten, Hupen gellten, erschrockene Fahrer drohten mit der Faust und fluchten. Diese Reaktionen registrierte Bérard nur mit einem Teil ihres Verstandes. Der andere Teil war damit beschäftigt sich durch den stehenden Verkehr zu schlängeln, den Fahrbahnteiler zu überwinden und die Autobahnausfahrt zu erreichen.
Sie gelangte bis zum Anfang der Ausfahrtsrampe, die buchstäblich durch einen Wall aus Fahrzeugen blockiert war. Als sie in den peitschenden Regen hinausstürmte, sah sie die Voxan zwischen zwei Fahrspuren mit Gegenverkehr beschleunigen. Bourne hatte bisher erstaunlich Glück gehabt, aber wie lange konnte er diese halsbrecherische Fahrweise durchhalten, ohne zu stürzen?
Das Krad verschwand hinter dem ovalen Silberzylinder eines Tankwagens. Bérard schnappte erschrocken nach Luft, als sie auf der Spur daneben einen riesigen Sattelschlepper heranrasen sah. Sie hörte Reifen kreischen, als der Fahrer eine Vollbremsung machte; dann knallte die Voxan gegen den massiven Kühlergrill des Sattelschleppers und explodierte sofort in einem prasselnden, ölig blakenden Feuerball.
Kapitel zwölf
Jason Bourne sah etwas, das er als »Zusammentreffen von Gelegenheiten« bezeichnete, unmittelbar vor sich. Er war zwischen zwei Fahrspuren mit Gegenverkehr unterwegs.
Rechts neben sich hatte er einen Tankwagen; etwas weiter links vor ihm kam ein riesiger Sattelschlepper heran.
Die Entscheidung musste augenblicklich fallen, zum Nachdenken blieb keine Zeit. Er legte sich mit Geist und Körper darauf fest, dieses Zusammentreffen zu nutzen.
Er richtete sich auf den Fußrasten stehend auf und lenkte die Maschine sekundenlang nur noch mit der linken Hand. Er zielte mit der Voxan auf den Sattelschlepper, der links herangerast kam, dann ließ er den Lenker los. Die Finger seiner ausgestreckten Rechten bekamen die schmale Eisenleiter zu fassen, die über die gewölbte Flanke des Tankwagens hinaufführte, sodass er vom Motorrad gerissen wurde. Dann drohten seine Finger von dem regennassen Metall abzurutschen, und er war in Gefahr, vom Fahrtwind weggerissen zu werden. Die Schmerzen in seiner Schulter, die er sich, an der Frachtluke des Flugzeugs hängend, gezerrt hatte, trieben ihm Tränen in die Augen. Mit beiden Händen an der Leiter packte er fester zu. Als er sich mit den Füßen auf den Sprossen an die Flanke des Tankwagens schmiegte, knallte die Voxan gegen den Kühler des Sattelschleppers. Der Tankwagen erzitterte und schwankte auf seinen Stoßdämpfern, als er durch den Feuerball fuhr. Dann war er hindurch und rollte nach Süden, wo der Flughafen Paris-Orly und Bournes Freiheit lagen.
Es gab viele Gründe für Martin Lindros’ raschen, unfehlbar sicheren Aufstieg auf der glitschigen Karriereleiter der Agency. Mit nur achtunddreißig Jahren war er der Stellvertreter des CIA-Direktors geworden. Er war intelligent, kam von den richtigen Universitäten und verlor selbst in kritischen Situationen nie den Kopf. Darüber hinaus stellte sein nahezu eidetisches Gedächtnis einen unschätzbaren Vorteil dar, wenn es darauf ankam, die reibungslose Arbeit der CIA-Verwaltung zu organisieren.
Bestimmt lauter wichtige Eigenschaften – für den stellvertretenden CIA-Direktor sogar unentbehrlich. Der Alte hatte Lindros jedoch aus einem weiteren Grund ausgewählt: weil er vaterlos war.
Der CIA-Direktor hatte Martin Lindros’ Vater
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