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Das brennende Gewand

Das brennende Gewand

Titel: Das brennende Gewand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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lag tiefer Frieden, doch Almut senkte ihren Blick.
    »Nein. Sie hatte ein Kind.«
    Er erhob sich und zog sie an sich.
    »Auch Ihr werdet ein Kind haben.«
    »Ich...«
    »›Steh auf, meine Freundin, und komm, meine Schöne, komm her! Meine Taube in den Felsklüften, im Versteck der Felswand, zeige mir deine Gestalt, lass mich hören deine Stimme; denn deine Stimme ist süß, und deine Gestalt ist lieblich.‹«
    Seine Lippen waren sanft, aber seine Hände streiften zielstrebig das feine Tuch von ihren Haaren.
    Ihr aber schlug das Herz so laut, dass es in ihren Ohren rauschte, und die Kehle wurde ihr eng. Doch sie wehrte sich nicht, als er auch das Band löste, das ihren fest geflochtenen Zopf hielt.
    »›Siehe, meine Freundin, du bist schön! Siehe, schön bist du! Deine Augen sind wie Taubenaugen hinter deinem Schleier.‹«
    In Wellen fielen die rotbraunen Haare über ihren Rücken, und ihre Hand wagte es, sich auf seine von grauer Seide bedeckte Schulter zu legen.
    »Ihr findet, es ist ›wie eine Herde Ziegen, die herabsteigen vom Gebirge Gilead‹? Manches ist nicht sehr schmeichelhaft, was Salomo singt.«
    Das Fältchen in seinem Augenwinkel zuckte.
    »Dieses nicht, doch sagt er auch: ›Deine Lippen sind wie eine scharlachfarbene Schnur, und dein Mund ist lieblich. Deine Schläfen sind hinter deinem Schleier wie eine Scheibe vom Granatapfel.‹«
    Als er sie dieses Mal küsste, lagen ihre Arme um seinen Nacken. Und sie verwehrte es seinen kundigen Fingern nicht, sich in ihrer Haarflut zu vergraben.
    »›Von deinen Lippen, meine Braut, träufelt Honigseim. Honig und Milch sind unter deiner Zunge, und der Duft deiner Kleider ist wie der Duft des Libanon‹«, flüsterte er. Seine Lippen streiften ihre Brauen, ihre Schläfen und ihre Augenwinkel. Mit einem zitternden Atemzug lehnte sie ihren Kopf an seine Brust. Er hielt sie fest, ließ sie dem raschen Schlag seines Herzens lauschen, bis sie ruhiger wurde.
    Die Schatten des verlöschenden Tages wurden lang und füllten die Winkel des Turmzimmers, die Stimmen von der Straße verstummten, im Haus breitete sich Ruhe aus, die Besucher waren gegangen, das Tagwerk getan. Eine laue Brise wehte durch das offene Fenster, und in die Stille hinein erhoben die Vögel ihren Abendgesang.
    Almut richtete sich auf, um Ivo vom Spiegel ins Gesicht zu sehen.
    Schwarz waren seine Brauen, schwarz die beiden Strähnen in seinem kurz geschnittenen Bart, die sich rechts und links an seinem Mundwinkel hinabzogen. Doch was grimmig scheinen konnte, war nun gewichen, und sie las Verständnis in seinen Augen. Verständnis für ihre Angst vor den ungekannten Gefühlen, die er in ihr weckte, vor dem Begehren, der Sehnsucht, dem Wunsch nach Hingabe, für die sie keine Worte fand.
    »Wenn unser Bund vor Gott und den Menschen geschlossen ist, geliebtes Weib, werde ich sanft zu Euch sein. Und wenn der Allmächtige es will, so wird Euer Leib gesegnet sein. Aber heute, meine Taube, ist noch nicht der rechte Zeitpunkt, die Worte des Liedes zu erfüllen.«
    Sie legte wieder ihren Kopf an seine Schulter und überließ sich, wenn auch mit einem leichten Zittern und einem Anflug von Bedauern, seiner festen, schützenden Umarmung. Dann gab er sie frei, und mit geschickten Fingern flocht er ihr eigenhändig den Zopf.
    »Vielfältige Fähigkeiten habt Ihr, Herr.«
    »›Die fleißige Hand wird herrschen; die aber lässig ist, muss Frondienst leisten‹«, zitierte Ivo vom Spiegel salbungsvoll.
    Endlich konnte auch Almut wieder lächeln, und dankbar nahm sie den Pokal entgegen, den er ihr reichte, und trank den roten Wein. Doch dann bemerkte sie die rote Stelle an seinem Handgelenk, und mit einem leichten Streicheln berührte sie sie.
    »Eine Biene. Sie war es, die mich daran erinnerte, dass ich nicht frei von Verpflichtungen bin.«
    »Nicht?«
    Er lächelte. »Sie kam in die Klause und machte mir auf schmerzhafte Weise klar, dass ich zu leben hatte. Sie opferte sich für mich und starb zu Füßen Mariens.«
    »Ich deckte sie mit einem Rosenblatt zu, bevor ich die Klause wieder schloss.«
    »Tatet Ihr das? Euer Herz ist wahrhaft groß und voller Liebe. Ich danke Euch dafür.« Er drehte den Kopf zum Fenster. »Hört, auch sie spendete mir Trost.«
    Gemeinsam lauschten sie der kleinen, braunen Sängerin, die sich auf dem Fenstersims niedergelassen hatte. Und die goldene Gestalt Mariens badete im Kerzenlicht und ihrem frohlockenden Gesang.
    Bald darauf aber rief Ivo vom Spiegel seinen Reitknecht und bat ihn,

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