Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das brennende Gewand

Das brennende Gewand

Titel: Das brennende Gewand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
Vom Netzwerk:
Händen auf und ab. Seine blaue, reich gefältelte Robe raschelte leise, und seine Miene war ausdruckslos. Almut setzte sich auf die schmale Bank am Fenster und beobachtete ihn eine Weile. Sie kannte ihn nun schon seit über einem Jahr, und manche Seiten an ihm sicher besser als seine klösterlichen Brüder. Er war ein verschlossener Mann, doch unter seiner strengen Selbstzucht verbarg er einen starken Willen und alle seine Gefühle. In einigen ganz wenigen Momenten in der Vergangenheit war es ihr vergönnt gewesen, jenen anderen Mann hinter der Maske starrer Pflichterfüllung zu entdecken, und sie hatte gehofft, nach und nach die Mauern einreißen zu können, mit denen er sich umgeben hatte. Doch nun schien alles vergebens.
    Eine Honigbiene summte durch das offene Fenster und setzte sich brummelnd auf ihre Schulter. Mit einer leichten Handbewegung wollte Almut sie verscheuchen, und dabei berührten ihre Finger Mariens Träne, die sie in der Apotheke hervorgezogen hatte. Es erinnerte sie daran, dass sie eine Vertraute hatte, deren gütiger Rat ihr schon geholfen hatte. Sie umfasste den Anhänger und bat stumm: »Heilige Maria, du schmerzensreiche Mutter, du Königin der Märtyrer, Trösterin der Betrübten, hilf mir, einen Weg zu finden, seine Sorgen zu teilen.«
    Maria, sanft und weise, lauschte der Bitte ihrer Tochter und lenkte ihre Erinnerung. Mit einem Anflug von Erleichterung hob Almut die Augen zu dem gemessen auf und ab schreitenden Herrn vom Spiegel.
    »Nun, Herr, wenn Ihr meiner Hilfe nicht bedürft, so brauche ich doch die Eure.«
    Er blieb vor ihr stehen.
    »Habt Ihr schon wieder einen Unfug angerichtet, Begine?«, grollte er.
    Zufrieden atmete Almut auf.
    »Nein, natürlich nicht. Es ist nur so, dass ich mich mit einer seltsamen Andeutung herumplage. Sagt, Ihr seid doch vertraut mit den Psalmen.«
    »Ich sang sie jahrelang des Tags und der Nacht. Man kann sagen, dass ich ad nauseam mit ihnen vertraut bin.«
    Almut achtete des bitteren Tonfalls nicht, sondern fragte unverdrossen weiter: »So wird Euch sicher der Siegespsalm des Steineschleuderers bekannt sein.«
    Einen Moment stutzte der Pater, dann nickte er. »Selbstverständlich. Der achtzehnte ist es.«
    »Könnt Ihr mir den Wortlaut nennen? Bitte.«
    »Wird er Eure Seele läutern?«
    »Vielleicht. Auf jeden Fall wird er meine Erkenntnis mehren.«
    »Es ist die Anrufung des Herrn aus den Banden des Todes. Er reagiert darauf, wie so oft, auf drastische Weise. Hört also:
    ›Die Erde bebte und wankte,
    und die Grundfesten der Berge bewegten sich und bebten, da er zornig war.
    Rauch stieg auf von seiner Nase und verzehrend Feuer aus seinem Munde;
    Flammen sprühten von ihm aus.
    Er neigte den Himmel und fuhr herab, und Dunkel war unter seinen Füßen.
    Und er fuhr auf dem Cherub und flog daher, er schwebte auf den Fittichen des Windes.
    Er machte Finsternis ringsum zu seinem Zelt;
    in schwarzen, dicken Wolken war er verborgen.
    Aus dem Glanz vor ihm zogen seine Wolken dahin mit Hagel und Blitzen.
    Der Herr donnerte im Himmel, und der Höchste ließ seine Stimme erschallen mit Hagel und Blitzen.
    Er schoss seine Pfeile und streute sie aus, sandte Blitze in Menge und jagte sie dahin.‹
    Reicht Euch das, Begine, an Schilderung göttlichen Zorns? Erwartet Ihr ein solches Eingreifen des Allmächtigen?«
    »Er donnerte und sandte Blitze. Ei wei!« Trotz aller Anspannung kroch ein Kichern in Almuts Kehle.
    »Wie üblich, Begine, verlässt Euch angesichts des himmlischen Strafgerichts jegliche Demut und Gottesfurcht!«
    Doch in den Augenwinkeln ihres Gegenübers entdeckte Almut ein winziges, ganz kleines Fältchen. Dergestalt ermuntert fuhr sie fort: »Es wirft ein heiteres Licht auf die düstere Prophezeiung unserer Rigmundis.«
    »Eure Seherin hat wieder Visionen gehabt? Welchen Inhalts?«
    »Oh, sie sprach von einer glattzüngigen Schwätzerin, der man Feuer unter dem Gewand machen soll. Auf welche Art, das habt Ihr mir gerade erläutert. Wisst Ihr, Trine hat herausgefunden, wie man bunte, knallende Explosionen erzeugen kann. Noch vorhin hat sie uns das Donnern und Blitzen vorgeführt. Ich bin froh, dass sich Rigmundis’ Weisung auf etwas so Harmloses bezieht. Der nächsten verleumderischen Klatschbase werde ich solch ein funkensprühendes Beutelchen an die Schleppe heften!«
    Die Fältchen vertieften sich, und der Herr vom Spiegel knurrte unheilverkündend: »Gebt nur Acht, dass diese Feuerteufeleien nicht den Gassenjungen in die Hände fallen.«
    »Was

Weitere Kostenlose Bücher