Das brennende Gewand
Genüge kennengelernt. Sie suchten nicht nach Beweisen seiner Unschuld, sondern verlangten das Geständnis seiner Schuld. Einst hatten sie ihn zwingen wollen, sein ketzerisches Traktat zu widerrufen, was er zu tun sich geweigert hatte. Nun würden sie verlangen, dass er die Morde zugab, die er nicht begangen hatte. Zusammen mit seinen damaligen Verfehlungen würde das Todesurteil gefällt werden. Er hatte nur die Möglichkeit, der Tortur zu entgehen, wenn er seinem Leben selbst ein Ende setzte.
Und er war gewillt, das zu tun.
Aber der Tortur konnte er sich dennoch nicht entziehen.
Gequält stöhnte er auf.
Eine Hand legte sich auf seine Schulter, und dann sackte die Strohmatratze ein Stück nieder, als sich Abt Theodoricus auf seine Bettkante setzte.
»Mein Sohn, ich habe für dich gebetet«, murmelte der ehrwürdige Vater. »Ich weiß, welche Seelenpein dich erfüllt.«
»Mein Entschluss steht fest, Theo. Auch mitten in der Nacht noch.«
»Ich weiß, Ivo. Du gehst deinen Weg. Wie immer.«
»Ich muss, Theo.«
Der Druck der Hand wurde stärker.
»Du musst. Aber ich hoffe, du weißt auch, was andere tun müssen, und wirst es genauso akzeptieren, wie ich deine Entscheidung annehme.«
»Tust du es?«
»Ich tue es. Um der Liebe willen, Ivo, tun wir viel. Schlaf nun, mein Sohn. Ego te absolvo.«
Die Hand löste sich von seiner Schulter, und zurück blieb das Gefühl von verlorener Wärme und Trost.
Doch Ivo vom Spiegel versank in einen unruhigen Schlaf und dämmerte seiner eigenen Totenmesse entgegen.
Am Morgen wurde Pater Ivo mit nackten Füßen von einem Bruder zum Altar von Sankt Brigiden geführt. Der Einschließung wohnten in der kleinen Pfarrkirche neben dem Kloster nicht nur die Mönche, sondern auch die ganze Gemeinde bei, und die Kirche war zum Bersten voll. Als er sich vor den Stufen des Altares niederwarf, war sein Gesicht gefasst, und seine Augen waren ruhig. Der ehrwürdige Vater, der das Priesteramt übernommen hatte, fragte mit lauter Stimme: »Willst du eingeschlossen werden und um Gottes willen ein Einsiedlerleben führen, so lange du lebst?«
»Ich will.«
»Willst du dem Bischof gehorchen und Uns als seinem Stellvertreter bis zu deinem Lebensende?«
»Ja, ich will es.«
»Du weißt, welche Mühen du auf dich nimmst, Bruder. Denn die Versuchungen des Teufels werden dich quälen. Gegen ihn musst du nun alleine ankämpfen. Du musst dich gegen die Welt und gegen dein Fleisch widersetzen, auch wenn du bereits für die Welt gestorben bist.«
»Aus Liebe zu Gott und um meines Seelenheils willen und gestärkt durch die Gebete der Frommen habe ich alles genau durchdacht und mit Gottes Hilfe vorbereitet.«
Theodoricus kniete nieder und betete, Ivo vom Spiegel sah verwirrt zu ihm hin. Doch der Abt ließ sich durch nichts unterbrechen. Der Chor der Mönche stimmte die Psalmen an. Es folgten Litaneien und Wechselgesänge, und dann brachten zwei weitere Mönche ein neues Gewand herbei.
Wenn auch irritiert, so legte Pater Ivo doch mit gemessenen Bewegungen seine schwarze Kutte ab und wurde in die weiße Robe eingekleidet.
Danach folgte die Messe zum Heiligen Geist, und nach dem Credo wandte sich der ehrwürdige Vater wieder Pater Ivo zu, der die gesamte Zeit regungslos vor dem Altar gekniet hatte.
»Ivo vom Spiegel, empfange die Regel des heiligen Benedikt, die du annehmen mögest, um ihr zu folgen. Willst du gemäß dieser Regel in dieser Klause bis zu deinem Tod leben?«
»Ich will es.«
»So empfange dieses Bild des Gekreuzigten, dessen Leiden und Sterben du studieren und immer in deinem Herzen bewahren mögest.«
Theodoricus legte Ivo ein Kreuz in die Hände, und gemeinsam mit den Mönchen geleitete er ihn aus der Kirche über den Friedhof zu der neu errichteten Klause. Dabei sangen die Benediktiner das »Dies irae, dies illa«. Nicht wenigen aus der Gemeinde fuhren kalte Schauder über den Leib.
An die Kirchwand war ein kleiner Steinbau angefügt, von dem nur noch ein schmaler Eingang offen geblieben war. Daneben standen in demütiger Haltung ein alter Maurer und sein junger Gehilfe, die gleich darauf die endgültige Einmauerung übernehmen würden.
Vor der Klause warf sich der Einzuschließende zu Boden und betete laut: »Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir«, und nachdem er geendet hatte, sprach Theodoricus ein langes Gebet. Dann erhob sich Pater Ivo von den Knien, und mit unbewegter Miene ließ er sich von dem Abt in die karge Kammer führen. Der ehrwürdige Vater segnete ihn
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