Das brennende Land
herrschte einen Moment lang unbehagliches Schweigen. Niemand wusste, ob er ihn als Freund oder als Eindringling behandeln sollte. Doch dann sprang Ragnar auf und umarmte den Neuankömmling.
Ich will das öde Einerlei nicht beschreiben, das in den nächsten beiden Tagen folgte. Die Männer, die in Dunholm versammelt waren, hätten die größte Dänenarmee aufstellen können, die man in Britannien je gesehen hatte, doch sie waren besorgt, weil alle wussten, dass Wessex bisher jeden Angriff abgewehrt hatte. Ragnar musste sie davon überzeugen, dass sich die Dinge geändert hatten. Alfred war krank und konnte kaum noch wie ein junger, kraftvoller Führer agieren, sein Sohn war unerfahren, und zudem, so schmeichelte mir Ragnar, hatte Uhtred von Bebbanburg dem Königreich Wessex die Gefolgschaft gekündigt. Und so stimmte man schließlich darin überein, dass Wessex verletzlich war. Doch wer sollte König werden? Ich hatte erwartet, dass der Streit über diese Frage endlos dauern würde, doch Sigurd und Cnut hatten zuvor schon darüber gesprochen und waren übereingekommen, dass Sigurd Wessex regieren und Cnut den northumbrischen Thron übernehmen würde, wenn der kranke, närrische und bedauernswerte Guthred starb. Ragnar stand der Sinn nicht danach, im Süden zu leben, und mir ebenso wenig, und auch wenn Haesten zweifellos gehofft hatte, die Krone von Wessex angeboten zu bekommen, erklärte er sich damit einverstanden, zum König von Mercien ernannt zu werden.
Haestens Ankunft ließ den gesamten Plan von einem Angriff auf Wessex wesentlich aussichtsreicher erscheinen. Nicht einer von uns traute ihm über den Weg, aber nur wenige bezweifelten, dass er einen Überfall auf Mercien plante. Er wollte tatsächlich, dass sich unsere Truppen mit seinen zusammenschl ossen, und das hätte in der Tat Sinn ergeben, denn vereint hätten wir eine machtvolle Armee gebildet. Doch niemals hätten wir uns darüber einigen können, wer diese Armee befehligen sollte. Daher wurde beschlossen, dass Haesten von seiner Festung in Beamfleot aus wenigstens zweitausend Männer nach Westen führen würde und dass die northumbrische Flotte - sobald die westsächsischen Truppen ausgerückt wären, um Haesten aufzuhalten - die Südküste angreifen würde. Alle Anwesenden schworen, diese Pläne geheim zu halten, doch ich bezweifle, dass dieser feierliche Schwur auch nur ein Barthaar wert war. Alfred würde schon bald alles erfahren.
«Also werde ich König von Mercien», sagte Haesten am letzten Abend zu mir, als der große Saal erneut von Feuern erhellt und mit tafelnden Gästen gefüllt war.
«Nur, wenn du die Westsachsen lange genug aufhalten kannst», schärfte ich ihm ein. Er winkte ab, als wäre diese Aufgabe geradezu belanglos. «Nimm eine mercische Wehrburg ein», riet ich ihm, «und zwinge sie, dich zu belagern.»
Er biss in ein Gänsebein. Fett rann in seinen Bart. «Wer wird sie befehligen?»
«Edward vermutlich, aber Æthelred und Steapa beraten ihn.»
«Die beiden seid nicht Ihr, mein Freund», sagte er und klopfte mit dem Gänsebein vertraulich auf meinen Unterarm.
«Meine Kinder sind in Mercien. Sorg dafür, dass sie am Leben bleiben.»
Haesten hörte den Grimm in meiner Stimme.
«Ich verspreche es Euch», sagte er ernst. «Ich schwöre es bei meinem Leben. Eure Kinder werden sicher sein.» Er deutete mit dem Gänsebein auf Cellach. «Was ist das für ein Kind?»
«Eine Geisel aus Schottland», antwortete ich. Cellach war eine Woche zuvor mit einem kleinen Gefolge angekommen: Er hatte zwei Krieger, die ihn bewachten, zwei Diener, die ihn kleideten und sich um sein Essen kümmerten, und einen krummbuckligen Priester, der ihn erzog. Ich mochte Cellach. Er war ein kräftiger kleiner Junge, der sein Exil tapfer ertrug. Er hatte schon Freunde unter den Kindern der Festung gefunden und lief immerzu vor den Lehrstunden des Buckligen davon, um wild auf der Wehrmauer umherzuspringen oder die steilen Felsen von Dunholm hinunterzuklettern.
«Also sind von den Schotten keine Schwierigkeiten zu erwarten?», fragte Haesten jetzt.
«Der Junge stirbt, wenn sie auch nur über die Grenze pissen», sagte ich. Haesten grinste. «Also werde ich König von Mercien, Sigurd wird König von Wessex und Cnut König von Northumbrien. Aber was ist mit Euch?»
Ich schenkte ihm Met ein und hielt einen Moment inne, um einem Gaukler zuzusehen, der mit Fackeln jonglierte. Dann schaute ich ihn an. «Ich nehme meinen Anteil von dem
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