Das Britische Empire: Geschichte eines Weltreichs (German Edition)
keine Konflikte mit Indianern zu befürchten waren. Denn nahezu überall, wo die Ureinwohner des nordamerikanischen Kontinents den ersten Kontakt mit Europäern hatten, fielen sie scharenweise jenen Krankheitsträgern zum Opfer, welche die Neuankömmlinge, selbst weitgehend immun gegen diese Erreger, über den Ozean mitgebracht hatten: Influenza, Masern, Diphterie und vor allem Pocken reduzierten die für den Beginn des 16. Jahrhunderts auf ca. ½ Mio. geschätzte Ureinwohnerschaft des östlichen Nordamerika bis gegen Ende des 17. Jahrhunderts auf die Hälfte. Und gerade zwischen 1616 und 1618, kurz vor der Landung der Pilgrim fathers, starben 90 % der in dieser Küstenregion ansässigen Algonkin-Indianer an einer verheerenden Epidemie, so daß die Massen der unbestatteten Leichen die puritanischen Neuankömmlinge an ein zweites Golgatha gemahnten.
Schließlich unterschied sich die Situation in Massachusetts von der in Virginia dadurch, daß die Charter der Trägergesellschaft nicht wie üblich London ausdrücklich als deren Sitz fixiert hatte. So konnten bereits ein Jahr nach der Gründung die Direktoren der Massachusetts Bay Company beschließen, «daß Regierung wie Patent in New England sein sollten».[ 6 ] Indem so die Gesellschaft selbst auswanderte, wurden deren Institutionen zu Organen der kolonialen Selbstverwaltung, und zugleich war mit diesem Transfer über den Atlantik ein erhöhtes Maß an Unabhängigkeit von staatlichem Einfluß gewährleistet. Was als koloniale Handelsgesellschaft gegründet worden war, hatte sich in eine politische Gemeinschaft verwandelt; die Versammlung der Anteilseigner, die hier zugleich Siedler waren, handelte nun als Parlament und der von diesem gewählte leitende Direktor («The Governor») als Gouverneur einer englischen Kolonie, d.h. hier war die Selbstregierung wesentlich ausgeprägter als in Virginia.
In beiden Kolonien bildeten sich allerdings schon frühzeitig soziale und damit auch politische Eliten. In Virginia waren es die Eigner der großen Tabakplantagen, und desgleichen befanden sich in Neuengland bereits im 3. Jahrzehnt die wichtigsten Ämter in den Händen von Mitgliedern der ökonomischen Oberschicht – der einflußreichen Kaufleute in den Städten sowie der Großgrundbesitzer auf dem Lande. Hinzu kam allerdings, daß in den puritanischen Kolonien weiterhin die Zugehörigkeit zur kirchlichen Gemeinde sowie ein offenkundig gottgefälliger Lebenswandel unabdingbare Voraussetzung für die bürgerliche Gleichberechtigung blieben. Den religiösen Wurzeln der Kolonie entsprach die Vorherrschaft einer religiös definierten Oligarchie, deren Fundamentalismus keine Abweichler duldete. Man hatte England verlassen, weil man die Staatskirche auf dem Weg zur Irrlehre sah, trachtete nun danach, ein neues England auf der Grundlage der wahren Lehre einzurichten, und war aus der eigenen Heilsgewißheit heraus nicht bereit, Toleranz gegenüber Andersdenkenden walten zu lassen.
So führten schließlich nicht nur der Landhunger der bis 1640 ständig in die Kolonie strömenden neuen Siedler, sondern auch erbitterte Auseinandersetzungen innerhalb des puritanischen Spektrums zur Gründung neuer eigenständiger Gemeinden, die sich später zu neuen Kolonien zusammenschlossen. Connecticut, Rhode Island, Maine, New Hampshire und New Haven (das allerdings seine Eigenständigkeit nur bis 1662 bewahren konnte) waren das Ergebnis dieser freiwilligen oder erzwungenen Wanderbewegungen. Prekär war dabei, daß hier anfangs die klaren rechtlichen Grundlagen einer königlichen Charter fehlten. Statt dessen pflanzte sich die puritanische Gründerkolonie wie durch Zellteilung fort; die Initiative zu weiterer Expansion lag erstmals nicht bei der Metropole, sie ging vielmehr von der kolonialen Peripherie aus.
Maryland
Die dritte im frühen 17. Jahrhundert gegründete englische Kolonie, Maryland, ist nicht nur geographisch zwischen Virginia und Neuengland angesiedelt. Denn während bei der Gründung von Virginia ökonomische und bei den Puritanern religiöse Motive überwogen, waren hier beide gleichermaßen ausschlaggebend. Hinzu kam als Novum, daß Maryland nicht von einer Gesellschaft, sondern von einem einzelnen gegründet wurde und damit musterbildend für den Typus der sog. ‹Eigentümerkolonie› war.
Am Anfang hatte die Initiative eines gewissen George Calvert gestanden, der 1625 als Baron Baltimore in den Adelsstand erhoben worden war. Ziel des bekennenden Katholiken war es, seinen
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