Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch aus Blut und Schatten

Das Buch aus Blut und Schatten

Titel: Das Buch aus Blut und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Wasserman
Vom Netzwerk:
sprachen, blasser wurde, bis sie uns schließlich, begleitet von ein paar komplizierten Handbewegungen zur Abwehr des bösen Blicks (zumindest nahm ich das an), verbot, ihn noch einmal auszusprechen.
    Die Altneu-Synagoge, die schon für Touristen geschlossen und daher leer war, wurde nur von ein paar trüben Glühbirnen beleuchtet, die das Flackern von Kerzen imitierten. Ich musste an eine ehemalige Kunstlehrerin von mir denken, deren Lieblingsspruch gewesen war, dass Michelangelos Skulpturen bereits in ihrem Marmorblock gelebt hatten; er hatte sie nur herauslassen müssen. Genau so wirkte die Synagoge auf mich. Als wäre das Gebäude mit seinen gekrümmten, in gebrochenem Weiß gestrichenen Mauern und den Bänken aus dunklem Holz einfach aus der Erde gewachsen. Notre-Dame, die Kostel sv Boehtia, diese Kirchen hatten alt ausgesehen und – selbst für mich – irgendwie heilig. Aber sie waren auch Angst einflößend und imposant gewesen, mit ihren riesigen Buntglasfenstern, vergoldeten Statuen, gigantischen Kirchtürmen, finster dreinblickenden Wasserspeiern und nach oben strebenden Steinpfeilern, unter denen man sich klein, unbedeutend und menschlich fühlte. Ich konnte gut verstehen, dass Menschen, die in kleinen Holzhäusern wohnten, ihre Notdurft in der Gosse verrichteten und ihre Tage im 16. Jahrhundert damit verbrachten, Metall zu schmieden, Schuhe zu flicken oder um Almosen zu betteln, beim Anblick eines solchen Berges aus Glas, Stein und Gold gar keine andere Wahl hatten, als zu glauben, dass ihr Leben von einer göttlichen Macht bestimmt wurde, denn wer außer einer göttlichen Macht konnte aus Stein, Glas und Putz so etwas machen? Die Synagoge fühlte sich jedoch ganz anders an. Älter, obwohl sie gar nicht einmal so alt war. So alt wie die Wüste, so alt wie Jerusalem. Vielleicht lag es an den cremefarbenen Wänden oder am warmen Leuchten des falschen Kerzenlichts oder daran, dass es keinen prunkvollen Altar gab – hier war alles schlicht, der Thoraschrein wurde lediglich von einem Gobelin bedeckt. Es war beängstigend einfach, sich die Synagoge zu einem früheren Zeitpunkt vorzustellen, mit einem bärtigen Mann vor dem Thoraschrein, der seinen Gott anfleht, den Tod zu entkräften.
    Janika begleitete uns an zwei Sicherheitsbeamten vorbei – »Golem«, sagte sie zu ihnen, woraufhin die beiden ihr zuzwinkerten – zu einer schmalen Treppe, die zum Dachboden der Synagoge führte, ein staubiger, überraschend beengter Raum mit schrägen Wänden und sakralen Überbleibseln aus acht Jahrhunderten.
    Â»Das ist er«, erklärte Janika. »Seht euch um, wie so viele vor euch. Ihr werdet nichts finden.«
    Â»Vielen, vielen Dank«, sagte ich.
    Sie hustete, ein trockener, bellender Raucherhusten. »Macht nichts kaputt.«
    Wir wühlten uns durch mehrere Schichten verrosteter Menora, mottenzerfressener Leinentücher, staubiger Bücher in alten Sprachen. Sämtliche Wände wurden von uns nach geheimen Nischen, einem losen Ziegel oder einer verborgenen Tür untersucht, in der Hoffnung, einen Schatz zu finden.
    Janika stand in einer Ecke. Ihre Finger zuckten, als würden sie sich danach sehnen, eine Zigarette zu halten oder wenigstens einen Stock. Sie beobachtete uns aufmerksam und rief uns hin und wieder eine Erklärung zu den angeschimmelten Merkwürdigkeiten zu, die wir zutage förderten.
    Eine angelaufene Menora aus Silber, die noch die Wachsreste von Chanukka-Kerzen trug: »Menora, die Kafkas Urgroßeltern gehört. Nicht anfassen.«
    Ein schmales, rechteckiges Kästchen aus Stein, das nur wenig breiter und länger als mein Zeigefinger war und an beiden Enden mit einem Kindergesicht verziert war. »Mezuzah, die Maharals Tochter gehört. Nicht anfassen.«
    Ein niedriger Becher aus schwarz angelaufenem Silber, in dessen unteren Rand hebräische Schriftzeichen graviert waren: »Kiddusch-Becher, der dem Tosafos Yom Tov gehört. Nicht anfassen.«
    Es war schon schwer genug, etwas zu suchen, wenn man nicht wusste, wonach man suchte. Aber es war noch viel schwerer, wenn man im Grunde genommen glaubte, dass es gar nicht existierte. Ich spähte aus dem Fenster, als könnten mir die Dächer Prags eine Antwort geben. Doch Schiefer und Stein blieben stumm. Vor dem Fenster waren bis auf halbem Weg nach unten ein paar Eisensprossen in die Außenwand der Synagoge eingelassen, die

Weitere Kostenlose Bücher