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Das Buch aus Blut und Schatten

Das Buch aus Blut und Schatten

Titel: Das Buch aus Blut und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Wasserman
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schlurfen. Aufgeblähte Patienten, die völlig reglos daliegen, mit Schläuchen, die aus ihnen herausragen, Monitore, die laut piepsen, Maschinen, die keuchen und pumpen und sämtliche von ihren Körpern aufgegebene Funktionen ausführen.
    Ich musste nicht allein gehen, aber jemanden mitzubringen, hätte bedeutet zuzugeben, dass ich es allein nicht schaffte.
    Außerdem hatte der Hoff nur nach mir gefragt.
    Der Empfang auf der Intensivstation war nicht besetzt, doch schließlich bemerkte mich eine stämmige Frau in Pflegerinnenkleidung. Sie hielt einen Behälter in der Hand, dessen Inhalt verdächtig nach Urin aussah. »Ich suche Professor – ich meine, Anton Hoffpauer«, sagte ich.
    Â»Sind Sie Nora?«
    Ich nickte.
    Â»Er hat nach Ihnen gefragt.«
    Â»Das hat man mir gesagt. Aber…sind Sie sicher?«
    Â»Wir haben eine Weile gebraucht, bis wir wussten, was genau er wollte, und dann mussten wir Sie ja auch noch finden, aber ja, ich bin sicher.«
    Â»Ich kann mir nur nicht vorstellen, warum er mich…«
    Â»Zimmer sieben«, unterbrach sie mich. »Sie können gleich reingehen.«
    Â»Wie geht es ihm?« Ich fragte nur, um Zeit zu gewinnen.
    Â»Er dämmert immer mal wieder weg. Bei einem Schlaganfall weiß man nie. Manchmal überleben die Leute das Schlimmste.«
    Â»Dann wird er wieder gesund?«
    Sie schürzte die Lippen. »Gehen Sie zu ihm. Er wird sich freuen. Und wenn Sie eine Weile hierbleiben, kommt eventuell der Arzt vorbei. Er hat vielleicht eine Antwort für Sie.«
    Doch die Nichtantwort war Antwort genug.
    Die schmalen Patientenräume lagen hinter dicken Glaswänden, weiße Vorhänge sorgten für etwas Privatsphäre. Die Tür zu Nummer sieben stand offen. Ich wollte auf keinen Fall hineingehen.
    Die Tür quietschte, als ich sie hinter mir zuzog. Tief atmen, dachte ich, während ich mich zwang, mich umzudrehen und ihn anzusehen. Ein und aus.
    Er war blass, mit einer gelblichen Kruste um die tränenden Augen, wie bei einem Kind, das sich in den Schlaf geweint hat. Die Leberflecken auf seinem hohen Haaransatz hoben sich von seiner Haut ab wie Tinte auf einer weißen Leinwand. Infusionsnadeln steckten in wulstigen Venen. Eine Seite seines Gesichts hing deutlich mehr herunter als die andere, und als er die Augen öffnete, richtete sich nur das eine auf mich. Es wurde größer.
    Warum ich?, wollte ich fragen. Warum nicht Max oder Chris oder besser noch ein Sohn oder eine Enkelin, irgendjemand, der seine schwielige Hand nimmt oder ihm über die verschwitzte Stirn streicht, der sich an sein Bett setzt und zu einem Lächeln zwingt und nicht zurückweicht, wenn ein Speichelfaden aus seinem Mundwinkel rinnt.
    Ich ließ mich auf den schmalen Metallstuhl neben dem Bett sinken. Er murmelte etwas. Hauptsächlich unverständliche Silben und die ganze Zeit hinkte die rechte Seite seines Mundes hinter der linken her.
    Â»Le da tschi«, stammelte er. Dann wiederholte er es, lauter dieses Mal. »Le da tschi!«
    Er ballte seine linke Hand zur Faust und schlug damit auf das Bett.
    Â»Shh.« Verlegen tätschelte ich die Bettdecke, ein paar Zentimeter von der Beule entfernt, die sein rechtes Bein war. »Ist schon okay.«
    Sein Mund zuckte und er zwang lallend ein Wort aus sich heraus, das jedoch zu verstehen war. »Sicher!«, schrie er. »Nicht sicher!«
    Â»Hier sind Sie sicher«, beteuerte ich. Und dann nahm ich seine Hand. Es blieb mir nichts anders übrig. »Machen Sie sich keine Sorgen.«
    Er riss sich mit erstaunlich viel Kraft von mir los und zeigte mit dem Finger auf mich. »Sie.«
    Â»Ich? Was?«
    Â»Sieschines.«
    Ich beugte mich zu ihm und hasste mich dafür, dass mir der unangenehme, süßliche Geruch an ihm auffiel. »Es tut mir leid. Ich verstehe nicht.«
    Â»Sie. Sind. Es.« Jedes Wort wurde von einem Faustschlag auf die Decke begleitet. »Ihr Blut.« Und dann lallte er wieder diese unverständlichen Wörter, die ihm viel zu bedeuten schienen. »Le da tschi!«
    Â»Ja«, erwiderte ich. Was hätte ich denn sonst sagen sollen? »Ich weiß.«
    Das schien ihn zu beruhigen. Er schloss die Augen. Ich saß da, hörte seinem rasselnden Atem zu, während die Monitore ihr disharmonisches Lied spielten, und fragte mich, wie lange ich wohl bleiben sollte – und ob ich ihn allein lassen konnte.
    Mit einem Quietschen öffnete

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