Das Buch der Gaben - Tommy Garcia ; Band 1
wieder auf den Weg machten. Jeder von uns schnitt mit Tommys Taschenmesser ein Viertel aus seinem Apfel und gab es den Hunden. Lazy schaute mich mit seinen traurigen Basset-Augen bettelnd an, ob ich vielleicht auf die Idee kommen würde, ihn noch mal zu tragen, aber den Gefallen tat ich ihm nicht.
Irgendwie kam ich bald auf den Gedanken, mal auf den Kompass zu sehen. Und das war eine gute Idee. Der Pfeil zeigte jetzt direkt nach Norden, genau weg von der Schlucht. Ich sagte den anderen nichts davon, denn exakt in die Richtung gingen wir ja. Ich beschloss einfach, alle paar Minuten draufzugucken, ob sich irgendetwas änderte.
Wir marschierten etwa eine Viertelstunde, ehe sich die Landschaft dieser doch recht trockenen und auch staubigen Ebene wieder spürbar verwandelte.
»Es wird felsiger«, sagte Sanne, die mit frisch gestärktem Selbstbewusstsein vorausging. Sie hatte recht, auf dem Sandboden waren jetzt immer häufiger kleine Felsbuckel. Und es dauerte nicht lange, dann bestand der Boden schließlich ganz aus Stein. Graues, mit feinen silbrigen Adern durchzogenes Felsgestein war das.
Auf einmal drang wieder ein merkwürdiges Geräusch an unsere Ohren. Wieder war es ein Rauschen. Doch diesmal klang es nicht ständig gleich, sondern wiederholte sich in rhythmischen Abständen. Verwundert blieben wir stehen und horchten.
»Was ist denn das jetzt wieder?«, fragte Sanne.
Tommys Gesicht verzog sich, so angestrengt versuchte er, das Geräusch zu deuten.
»Hört sich an wie ein Meer«, sagte er schließlich.
Konnte es ein Meer sein? Jetzt, wo Tommy das gesagt hatte, war auch ich mir ziemlich sicher, dass das an- und abschwellende Rauschen von Wellen verursacht wurde. Wenn das stimmte, dann hatten wir aber in kürzester Zeit wirklich alles durchgemacht. Einen See, einen Urwald, eine afrikanische Savanne, einen kleinen Grand Canyon durchquert und nun käme auch noch der Ozean.
»Wenn es das Meer ist, sind wir am Ende«, sagte Janine, und wir starrten sie an. »Weil wir da nie weiterkommen. Oder meint ihr, wir können durch ein Meer schwimmen?«
»Lasst uns die Lösung nicht vor dem Rätsel suchen«, sagte ich und staunte über meine eigenen Worte.
Tommy hob die Brauen und staunte ebenfalls nicht schlecht. »Ein Philosoph ist unter uns! Aber Joe, du hast recht. Erst mal sehen, was da kommt. Uns ist noch immer eine Lösung eingefallen.«
Wir gingen weiter und nur eine Minute später sahen wir am Horizont in der Ferne hinter dem Grau des Felsbodens das Blau eines Ozeans. Schon bald roch es nach Strand, Salz und Tang. Aufgeregt beschleunigten wir unsere Schritte.
»Nicht schon wieder!«, stöhnte Janine plötzlich. Sie hatte als Erste ein neues Unheil erkannt und dann sahen auch wir,was uns erwartete. Ein neuer Abgrund! Wir liefen geradewegs auf eine Klippe zu, die sich vor dem Meer erhob. Soweit das Auge reichte eine Steilküste. Den Sandstrand konnte ich wohl erst mal abhaken.
Wir näherten uns dem Klippenrand immer mehr. Dann auf einmal stockte Tommy. Wir sahen sein Gesicht und erschraken. Er war bleich geworden, und seine Augen verrieten ein großes Erschrecken. Nervös schauten wir nach vorne, um rauszukriegen, was Tommy so mitgenommen hatte. Doch nichts deutete auf eine Gefahr hin.
»Was hast du?«, fragte Janine. »Sag doch, was siehst du?«
»Ich kenne diese Stelle«, flüsterte Tommy, und wir hatten Mühe, ihn bei dem Lärm der laut gegen die Felsen krachenden Wellen zu verstehen.
»Was, du kennst diese Stelle?« Sanne war sprachlos. »Woher denn?
Tommy antwortete nicht, und das machte uns jetzt richtig Sorgen. Er war doch sonst nicht sprachlos. Was war nur mit ihm? Woher kannte er diesen Ort? Und warum machte er ihm Angst? Dann, mit einem merkwürdigen Glanz in den Augen, ging er weiter auf den Rand der Klippe zu. Janine wollte ihn am Arm zurückhalten, aber ich schüttelte stumm den Kopf. Ich hatte auf einmal das Gefühl, dass auch ich diese Stelle kennen würde. Aber verflixt, ich konnte mich nicht erinnern, jemals auf einer Klippe gestanden zu haben.
»Bleibt bitte hier«, sagte ich zu Janine. »Ich glaube, das geht nur Tommy und mich etwas an.«
Ich wusste nicht, warum ich das gesagt hatte. Aber Janine nickte und verständigte sich kurz mit Sanne. Die beiden hielten Jever zurück, weil die Klippe für einen Wirbelwind wie ihn zu gefährlich war. Mein Hund würde sowieso nicht loslaufen.
Ich folgte Tommy und mir rutschte das Herz in die Hose. Er stand direkt am Rand der Klippe und schaute
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