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Das Buch der Gleichnisse

Das Buch der Gleichnisse

Titel: Das Buch der Gleichnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Per Olov Enquist
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nach dem Warum. Man konnte wegen weniger zittrige Hände kriegen. Es knirschte und knarrte, wie Sibelius’ Achte, die er jetzt rekonstruierte.
    Die letzte Woche ihres Lebens wohnte er in ihrer kleinen Einzimmerwohnung im Altenheim. Sie kommunizierte nicht mehr, eine leichte Bewusstlosigkeit kam und ging, aber er putzte, schlief auf einer Matratze auf dem Fußboden und fand auf dem Tisch einen Stapel Postanweisungen. Sie hatten sich angesammelt. Waren nicht einbezahlt. So an die zwanzig Scheine.
    Er ging sie durch.
    Es waren Bettelbriefe für eine Unzahl wichtiger christlicher Zwecke.
    Er fühlte, wie er es auch erwartet hatte, eine vernünftige, jedoch humoristische Wut in sich aufwallen. Der religiös-industrielle Komplex hatte die Adresse der Mutter erobert. Wahrhaftig: Jede kleine Sekte sah die Mutter als ihre ökonomische Basis. Eine Opferbereitschaftsindustrie zeichnete sich ab. Sie wurde von der kleinen Rente der Mutter und anderer vom Schlag gerührter alter Tanten finanziert. Er wusste ja, dass sie sich nicht damit begnügt hatte, nur den Zehnten fortzuschenken, denn sie meinte, dass so viel mehr vonnöten sei.
    Hier lagen die Beweise.
    Er blätterte die Formulare durch und geriet in Rage. Missionsverein der Lehrerinnen, das ging wohl an. Aber es schien, als sei es jeder noch so kleinen Sekte, die hochkirchlichen eingeschlossen, gelungen, sich hinabzubohren zu dieser Leben spendenden Quelle, also seiner vom Schlag gerührten Mutter in Bureå. Innere und äußere Mission. Die Gideoniter, was war das? Oder Bibeln im Osten, man wollte Bibeln zu den Kommunisten schicken, die ja erweckt werden mussten.
    Aber die Israelmission?
    Er hatte sie einmal gefragt. Sie erklärte, im Gebet die Antwort erhalten zu haben, dass es notwendig sei, die Juden zu Jesus zu bekehren. In dem Punkt war sie unempfänglich für Einwände.
    Aber der Wachtturm? Die Zeugen Jehovas? Hatte sie im Nebel ihres Alters wirklich vergessen?
    Die Zeugen Jehovas hatten, als er Kind war, sie und ihn mit Furcht erfüllt, oder jedenfalls mit Abscheu. Sogar am Karfreitag kamen sie und missionierten, während Jesus da am Kreuz hing und die Mutter sich nicht einmal vorstellen konnte zu stricken, was als Arbeit angesehen wurde. Die Missionierenden störten die Trauer und wollten bekehren. Er erinnerte sich klar daran, dass die Mutter da die Tür verschloss, und sie gingen hinauf auf den Dachboden und drängten sich dort zusammen, in Abscheu und Einigkeit, bis die Missionare das Türanklopfen eingestellt hatten. Auf die gleiche Art und Weise wie sie dereinst am Jüngsten Tag bestimmt vergebens ans Himmelstor schlagen würden.
    Aber die Postanweisungen sprachen eine andere Sprache. Was sollte er tun? Die Vernunft sagte: Verbrennen. Andererseits: Wozu sollte seine Vernunft gut sein? Ihr Glaube hatte ihr ja geholfen, eine unfassbare Einsamkeit zu überleben, und sie würde im Glauben an ihren Erlöser sterben.
    War dies unvernünftig?
    Die Mutter lag in ihrem Bett und atmete röchelnd. Was bedeuteten ihre schwachen Laute? Befand sie sich an der Grenze und wollte ihn erreichen?
    Schließlich raffte er alle Postanweisungen zusammen, an die Zeugen Jehovas, an Bibeln im Osten, an die Bekehrung von Juden zum Glauben an Jesus Christus, das ganze unvernünftige Bündel von Wurzelfäden eines Lebens, das bald aufhören sollte und das in gewisser Weise auch sein eigenes war.
    Und ging damit zur Bank und zahlte alles ein.
    *
    Eine Spur von Witterung für den verwirrten Hund.
    Der Hund schnüffelt sich rückwärts. Überall Witterung von vernünftigem Leben, zuweilen jedoch Witterung von ihm selbst. Dann erstarrt der Hund!, wie erschrocken, und ändert den Kurs. Danach wieder Vernunft. Der Hund weiß jetzt, dass er gerettet ist, aber Angst hat.
    Er war am 22. März 1989, mitten in der unvernünftigen Flucht, gegen 4.15 Uhr in dem üblichen grauen Morgennebel aufgewacht und unsicher gewesen, ob der Tod bereits eingetreten war und er jetzt für das Leichenbild fotografiert wurde, das nach Norden geschickt werden sollte.
    Und erinnerte sich an Tante Valborg! Dass sie es gewagt hatte. Dieser Mut. Wenn die Liebe zu Christus – von der behauptet wurde, sie sei die Eingangspforte zur weltlichen Liebe –, wenn sie Unterwerfung verlangte, dann war das Gleichnis von Tante Valborg eine Alternative.
    Besser das als diese eiskalten Erklärungen.
    Es war der 22. Juni, als Tante Valborg zu Besuch nach Hjoggböle gekommen war. Die Familie und alle Vettern und Kusinen versammelten sich

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